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Welchen Staat wollen wir?
Die demokratischen und kapitalistischen Staaten Europas und
Amerikas kennen zwei idealtypische Staatsmodelle: den sogenannten Nachtwächterstaat und den Sozialstaat. Der
Nachtwächterstaat beschränkt sich auf die Aufrechterhaltung der
inneren und äußeren Sicherheit und lässt dem Individuum in
wirtschaftlicher Hinsicht die größtmögliche Freiheit, aber auch
das Risiko des völligen Scheiterns; der Sozialstaat dagegen
schützt den Bürger mittels Sozialversicherungen –
Krankenversicherung, Rentenversicherung,
Arbeitslosenversicherung, Pflegeversicherung – sowie mittels
Sozialhilfe vor den schlimmsten finanziellen Folgen von
Krankheit und Arbeitslosigkeit. Zudem
finanziert er die schulische Ausbildung und die
Hochschulausbildung und kümmert sich nach Kräften darum, dass
genügend Lehrstellen und Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.
Ein gutes Beispiel für den
Nachtwächterstaat sind die USA, gute Beispiele für den
Sozialstaat sind Finnland und Schweden.
Deutschland dagegen ist trotz des Sozialstaatsgebotes im
Grundgesetz nur mit Einschränkungen
als Sozialstaat zu bezeichnen: Zwar muss hier niemand verhungern
oder verdursten, aber schon die Behauptung, niemand in
Deutschland müsse hungern oder frieren, ist falsch; von
Chancengleichheit und Aufstiegschancen können Kinder aus ärmeren
/ bildungsferneren Schichten der Bevölkerung nur träumen, und
auch im Alter sieht es düster aus, wenn man als Rentnerin /
Rentner mit Durchschnittsrente in ein Alten- oder Pflegeheim
kommt, wegen der hohen Kosten trotz Pflegeversicherung, Rente,
eventuell auch Betriebsrente und Riester-Rente noch Sozialhilfe erhalten und in
Abhängigkeit und Elend seine letzten Jahre verbringen muss.
Die relative finanzielle Sicherheit
und die kostenfreie Ausbildung der Bürger im
Sozialstaat werden erkauft durch hohe Ausgaben für Soziales und
für Bildung, die von
Arbeitnehmern, Arbeitgebern und der Gesamtheit der Steuerzahler
aufgebracht werden, allerdings nicht zu gleichen Teilen:
Um die Arbeitskosten zu senken und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der im Lande
ansässigen Unternehmen zu stärken, entlastet z. B. der deutsche Staat
seit Jahren die Arbeitgeber und bürdet einen immer größeren Teil
der Sozialkosten den Arbeitnehmern auf. Zudem kürzt er direkt
oder indirekt die Leistungen für Rentner, Kranke, Arbeitslose,
Studierende und Sozialhilfeempfänger. Die solidarischste Form
der Finanzierung, nämlich die Finanzierung der Sozialausgaben
durch alle Bürger über Steuern, ist in Deutschland dagegen weit
weniger entwickelt als z. B. in den skandinavischen Ländern, die
entsprechend geringere Lohnnebenkosten und entsprechend höhere
Steuersätze haben.
Die Folgen der verschiedenen
Modelle: In Finnland und Schweden gibt es eine großenteils gut
ausgebildete und trotz hoher Steuern großenteils gut verdienende
Bevölkerung sowie vergleichsweise geringe Einkommens- und
Vermögensunterschiede; in den USA gibt es gigantische Einkommens-
und Vermögensunterschiede sowie eine großenteils schlecht
ausgebildete – ca. 30 Prozent der US-Amerikaner besitzen keinen
Schulabschluss – und trotz niedriger Steuern großenteils schlecht
verdienende, zu einem erheblichen Prozentsatz noch nicht einmal
krankenversicherte Bevölkerung. Und auch jene US-Bürger, die zur
Mittelschicht zählen und ein auskömmliches Einkommen haben,
müssen mit der ständigen Gefahr von Arbeitslosigkeit und damit
des finanziellen Absturzes leben. Kapitalistische Systeme, in die
der Staat nicht korrigierend eingreift, tendieren also dazu, eine horrende soziale
Ungleichheit und Unsicherheit zu produzieren – mit allen
negativen Folgen wie zunehmender Unbildung, Unzufriedenheit,
Demokratieverdrossenheit, Gewalttätigkeit und Straffälligkeit der
deklassierten Schichten der
Bevölkerung.
Offensichtlich fährt die große
Mehrheit der Bevölkerung also mit einem Sozialstaat, der allen
Menschen die Möglichkeit einer guten Ausbildung bietet, sie
bezüglich der größten Lebensrisiken finanziell absichert und
sich zudem um die Schaffung von Arbeitsplätzen bemüht, weitaus besser als mit einem bloßen Nachtwächterstaat. Denn es
ist eben nicht jeder selbst seines Glückes Schmied, wie die vom
Glück Verwöhnten gerne behaupten, sondern jedes Menschen Leben
hängt in hohem Maße von Zufällen ab, außerdem von seiner
genetischen Ausstattung sowie von den familiären, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen
Verhältnissen, in die
er hineingeboren wurde, in denen er aufwuchs und in denen er
lebt.
Erziehung und Bildung
Ein Staat / eine Gesellschaft, der bzw. die daran
interessiert ist, dass möglichst viele Bürger für sich selbst
sorgen können, Steuern und Abgaben zahlen und mindestens
gesetzestreu, möglichst aber darüber hinaus auch noch
rechtschaffen und sozial engagiert sind, kann Erziehung und
Bildung nicht ausschließlich den Eltern überlassen. Hinsichtlich
der reinen Wissensvermittlung ist diese Erkenntnis nicht neu.
Deshalb gibt es Schulen und sonstige Ausbildungsstätten, die den
Eltern die Aufgabe der Wissensvermittlung weitgehend abnehmen.
Aber auch bezüglich der Erziehung
hat sich gezeigt, dass viele Eltern nicht fähig sind, ihre
Kinder zu anständigen, vernünftigen, mündigen sowie sozial
denkenden und handelnden Bürgern zu erziehen. Das mag manchmal
daran liegen, dass die Eltern ihren Sprösslingen aufgrund zu
großer beruflicher Belastung zu wenig Zeit widmen und die
"Erziehung" der Kleinen dem Fernseher oder – oftmals
sehr aggressiven und menschenverachtenden – Computerspielen überlassen, manchmal
daran, dass die Eltern aufgrund von Arbeitslosigkeit oder
generell materieller Erfolglosigkeit nur über ein geringes
Selbstwertgefühl verfügen und ihre Unsicherheit und
Orientierungslosigkeit an die Kinder weitergeben oder gar ihren
Frust an ihnen auslassen. Nicht selten kommt es auch vor, dass die
Kinder zwar erzogen werden, aber in einem Sinne, der mit dem
Grundgesetz und den allgemeinen Menschenrechten – z. B.
Gleichberechtigung von Mann und Frau, Unabhängigkeit des
Individuums von der Familie bzw. dem Clan, Toleranz,
Gewaltfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit etc. – unvereinbar ist.
Um Fehlentwicklungen vorzubeugen,
ist es daher notwendig, die Kinder kontinuierlich zu beobachten
und bei Bedarf möglichst früh einzugreifen. Häufig sind die
Probleme der künftigen Eltern bereits im Vorfeld der Geburt für
Ärzte, Beratungs- und Pflegepersonal klar erkennbar: Dann sollte
den Eltern sofort Beratung und Unterstützung angeboten werden.
Außerdem sollten bei allen Kindern in den ersten Lebensjahren
regelmäßige kinderärztliche Untersuchungen erfolgen, um bei
Vernachlässigung oder Misshandlungen rechtzeitig einschreiten zu
können. Spätestens ab dem dritten Lebensjahr – nach Möglichkeit
aber früher – sollte jedes Kind zudem kostenfrei eine
Kindertagesstätte / einen Kindergarten besuchen, um mögliche
physische und psychische Defizite noch ausgleichen und soziales, den Werten des
Grundgesetzes verpflichtetes Verhalten einüben zu können.
Sowohl hier als auch später in der Schule ist pädagogisch
qualifiziertes, kompetentes und engagiertes Personal erforderlich, denn mit
dem bloßen Beschäftigen und Verwahren (im Kindergarten) bzw. der
reinen Wissensvermittlung (in der Schule) ist es heutzutage
angesichts des erzieherischen Versagens vieler Eltern nicht mehr getan.
Freilich nutzen auch die besten Lehrerinnen und Lehrer nichts,
wenn das Schulsystem darauf angelegt ist, die leistungsstarken
Schülerinnen und Schüler zu fördern, die leistungsschwächeren
Schülerinnen und Schüler – die oft nur deshalb
leistungsschwächer sind, weil sie ärmere, bildungsfernere und
manchmal auch gewalttätige Eltern haben, die ihr Kind nicht in
gleichem Maße fördern (können) wie besser gestellte Eltern
– aber auszusondern.
Auch nach der Schulzeit ist der
Staat weiter gefordert, wenn er verhindern will, dass eine
Unterschicht von beruflich wenig qualifizierten und u. a. deshalb
arbeitslosen, Sozialhilfe bzw. Arbeitslosengeld II beziehenden,
aus Frust und Verzweiflung engstirnig und gewalttätig werdenden
Jugendlichen und jungen Männern entsteht: Er muss entweder
direkt oder mittels entsprechender Rahmenbedingungen und
gesetzlicher Regelungen für Ausbildungs- und Arbeitsplätze
sorgen. Er darf diese Aufgabe keinesfalls vollständig den Unternehmen
überlassen, denn die primäre gesellschaftliche Aufgabe der Unternehmen ist es, mit
Gewinn verkäufliche Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln
und anzubieten, nicht aber Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Jedes mit anderen
Firmen konkurrierende Unternehmen ist vielmehr bemüht, mit möglichst wenig
Arbeitskräften auszukommen. Nicht selten übertreiben die
Unternehmen allerdings dabei: Die Folge ist
eine völlige Überforderung der (viel zu wenigen) verbliebenen
Mitarbeiter. Was man trotz dieses Trends gegen die Arbeitslosigkeit tun kann, wird auf der
Seite Kein Recht auf Faulheit?
skizziert.
Demokratie und Kapitalismus
Die Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu sozial denkenden
und handelnden Bürgern, die für eine funktionierende Demokratie
unverzichtbar sind, wird freilich dadurch erschwert, dass der
Kapitalismus im Prinzip einen ganz anderen Menschentyp fordert
und fördert, nämlich den kaltherzigen, rücksichtslosen,
lediglich zum Schein teamfähigen, seine möglicherweise durchaus
vorhandene soziale Kompetenz gleich Hochstaplern und Betrügern
nur zum eigenen Vorteil nutzenden, ganz im Karrieremachen,
Geldverdienen und der Bekämpfung / Ausschaltung der Konkurrenz
aufgehenden, allzeit flexiblen und entsprechend bindungslosen,
selbstverantwortlichen, aber sich eben deshalb ausschließlich
für sich selbst, nicht auch noch für seine Mitmenschen
verantwortlich fühlenden
Egoisten, kurzum einen Machiavellisten der Wirtschaft.
Denn der Eigennutz ist – zumindest
nach der reinen kapitalistischen Lehre – die Triebfeder des
Kapitalisten und veranlasst ihn, sein – eigenes oder geliehenes
– Geld so zu investieren, dass es eine maximale Rendite
erbringt. Dass er dabei – in einer funktionierenden
Marktwirtschaft ohne Oligopolisten wie z. B. den vier führenden
deutschen Energiekonzernen oder Monopolisten wie Microsoft – in
Wettbewerb mit anderen Unternehmern / Unternehmen steht, sorgt
für technischen Fortschritt und einen insgesamt wachsenden, wenn
auch – trotz mancher Korrekturen, die vom Staat oder den
Gewerkschaften erzwungen werden – ziemlich
ungleich verteilten Wohlstand. Allerdings müss(t)en den
Unternehmen von den Staaten Schranken gesetzt werden, wenn sie
nicht erneuerbare Ressourcen der Erde hemmungslos plündern, die
Umwelt oder künftige Generationen schädigen oder die hohe
Arbeitslosigkeit zur Erpressung der Arbeitnehmer missbrauchen. Auch
gibt es Bereiche, z. B. die Medizin und die Pharmazie, wo der
"Kunde" Qualität und Notwendigkeit des Angebotes kaum oder gar
nicht beurteilen und eine Fehleinschätzung – z. B. der Qualität
des Arztes oder der Arznei – nicht mehr korrigieren kann,
weshalb eine rein kapitalistische Wirtschaftsweise dort
unangebracht ist.
Dass der Wirtschaftsmachiavellist in
der Praxis zumindest in
seiner extremen Erscheinungsform dennoch selbst unter
Unternehmern und Managern eher selten vorkommt und eine Erziehung zu
sozialem Denken und Handeln trotz der konträren Erfordernisse
unseres Wirtschaftssystems möglich ist, kommt daher, dass der
Mensch – jedenfalls der psychisch / hirnorganisch / hormonell
gesunde Mensch – von Natur aus eben nicht nur zum Egoismus,
sondern auch zu Solidarität und Altruismus neigt, Zuneigung, Sicherheit
und Anerkennung sucht und darüber hinaus ein
angeborenes Gerechtigkeitsempfinden besitzt, das zwar nicht
unfehlbar ist, ihn aber grobe Ungerechtigkeiten durchaus
erkennen lässt. Leider funktioniert dieses angeborene
Gerechtigkeitsempfinden nur innerhalb der eigenen Bezugsgruppe
in der Regel ganz
gut, weit weniger gut aber gegenüber "Fremden", zumal wenn diese eine andere
Sprache sprechen und anders aussehen oder sich anders verhalten als die Mitglieder der
eigenen Bezugsgruppe.
Das Verantwortungsgefühl des
Menschen gegenüber seinen Mitmenschen im Allgemeinen und
gegenüber seiner Partnerin / seinem Partner und seiner Familie
im Besonderen sollte man freilich auch nicht überstrapazieren:
Insbesondere ist es widersinnig, wenn Politiker und
Wirtschaftsfunktionäre einerseits von jedem Bürger
Eigenverantwortung und Flexibilität verlangen und die Bindungen
des Einzelnen an Heimat und Familie auf dem Altar der
wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit und des Arbeitsplatzes zu
opfern bereit sind, andererseits aber dieselben Politiker die
finanzielle Sippenhaft wiedereinführen und nicht nur Eltern dazu
verpflichten, für ihre erwachsenen Kinder aufzukommen, wenn
diese arbeitslos sind, sondern sogar Enkel und Großeltern sowie
unverheiratete Paare – also Personen, die ausdrücklich keine
finanzielle Verantwortung füreinander übernehmen wollen – dazu
zwingen, in finanziellen Notlagen füreinander einzustehen.
Politiker, die auf solche Weise in zunehmendem Maße finanzielle
Risiken und Verpflichtungen von den Sozialversicherungen oder
der Gesamtheit der Steuerzahler wieder auf die einzelne Familie
/ das einzelne Paar abwälzen, sollten sich nicht wundern, wenn
sich bald niemand mehr bindet, um seine Partnerin / seinen
Partner nicht eventuell finanziell zu ruinieren.
Auch Altruismus und Solidarität sind
übrigens nicht völlig frei von Eigennutz: Wer anderen Menschen hilft,
erwartet in der Regel, dass auch ihm in der Not geholfen wird,
und wer anderen Menschen selbst dann hilft, wenn er weiß, dass
er selbst wahrscheinlich niemals (finanzielle) Not leiden wird
oder dass derjenige, dem er hilft, sich wahrscheinlich niemals
revanchieren können wird, erwartet in der Regel doch – zu Recht
– wenigstens Dankbarkeit und, wenn es sich um eine öffentliche
Gabe handelt, gesellschaftliche Anerkennung. Vielleicht ist es
aber auch seine eigene Dankbarkeit angesichts eines erfolgreichen,
geglückten Lebens und das Bewusstsein, dass er Erfolg und Glück
nicht allein seiner eigenen Leistung zu verdanken hat, die ihn
helfen und spenden lassen.
Interessante Links
Deutsches Institut für Menschenrechte
Human Development
Reports
Institut für Wachstumsstudien
linksnet
socialnet
Entstehungsjahr: 2006
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