Pädophilie, Pornographie, Politik

Alternativ: Desktopversion

Homepage

Spiele wie Memory

Die Ermittlungen gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy zeigen wieder einmal, wie gefährdet in Deutschland Freiheit, Privatsphäre und Rechtsstaatlichkeit sind: Polizei und Staatsanwaltschaft haben durch die Veröffentlichung seiner legalen, aber von der großen Mehrheit der Bevölkerung emotional abgelehnten und deshalb von ihm geheim gehaltenen Aktivitäten – des Bestellens und Anschauens nichtpornographischer Fotos nackter Jungen – die bürgerliche Existenz eines Menschen zerstört und ihn arbeitslos gemacht. Zudem behaupten Polizei und Staatsanwaltschaft zur Rechtfertigung ihres Tuns, dass jeder (!) Mensch, der sich zunächst nichtpornographische Fotos nackter Minderjähriger ansehe, später immer (!) auch pornographische Fotos nackter Minderjähriger anschaue.1 Nach dieser Logik muss jeder, der ein Messer besitzt, zwangsläufig zum Mörder werden, und dass sich bei Herrn Edathy trotz langer Observierungszeit und sorgfältiger Durchsuchung seiner Büros und Privaträume offenbar keine eindeutig pornographischen Fotos nackter Jungen finden ließen, weder gedruckt noch digital, kann nach der gleichen Logik nur daran liegen, dass er die pornographischen Fotos rechtzeitig vernichtet hat. Kurzum: Wie bei Hexenprozessen ist der Angeklagte auf jeden Fall schuldig – auch ohne jeden Beweis. Um ihr Tun nachträglich zu legitimieren, forschten die Ermittler anschließend mit mutmaßlich erheblichem personellem und finanziellem Aufwand nach Spuren, die belegen könnten, dass Herr Edathy Webseiten mit kinderpornographischem Inhalt aufgerufen hat. Aber selbst wenn er das getan haben sollte, würde es die vorherige Zerstörung seiner bürgerlichen Existenz durch die Publikmachung legaler Aktivitäten nicht nachträglich rechtfertigen.2

Damit nicht genug: Um nicht den Zorn der Mehrheit auf sich zu ziehen und eventuell bei künftigen Wahlen abgestraft zu werden, verteidigen Partei"freunde" und etliche Politiker anderer Parteien nicht etwa den Rechtsstaat, sondern beteiligen sich an der Hexenjagd. Sie bezeichnen nicht etwa das Verhalten von Polizei und Staatsanwaltschaft als auf Vorurteilen beruhenden Rufmord, sondern deklarieren sogar das legale Bestellen und Anschauen nichtpornographischer Fotos nackter Jungen als verwerflich und halten es für einen hinreichenden Grund für einen Parteiausschluss. Ein solcher vorauseilender Gehorsam gegenüber den Stammtischen lässt sich fast nur noch durch die Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe für Pädophile – dann natürlich auch für solche, die keinem Kind jemals etwas zuleide getan haben – toppen.

Dieser Text ist, wie Sie wahrscheinlich schon bemerkt haben, nicht frei von Verärgerung geschrieben worden, denn der Verfasser ist zwar nicht pädophil, aber schwul und erkennt in dem Verhalten gegenüber Herrn Edathy viele jener Mechanismen der Herabsetzung und Diskriminierung wieder, die auch viele Schwule immer noch fürchten oder tatsächlich ertragen müssen.3 Natürlich ist es nicht egal, ob sich das sexuelle Verlangen auf einen – jedenfalls im Prinzip – physisch und psychisch ebenbürtigen erwachsenen Partner richtet oder auf ein physisch und psychisch unterlegenes Kind. Andererseits gibt es aber auch deutliche Gemeinsamkeiten, nämlich hinsichtlich der emotionalen Ablehnung und Verurteilung nicht nur des entsprechenden Verhaltens, sondern bereits der von den Betroffenen gar nicht beeinflussbaren Empfindungen durch große Teile der Bevölkerung sowie hinsichtlich des daraus nicht nur für Pädophile, sondern auch für viele Schwule nach wie vor resultierenden Zwangs zur Geheimhaltung der Veranlagung, um berufliche und persönliche Nachteile zu vermeiden.

Das beliebte Argument der Stammtische gegen den Schutz der Privatsphäre, wer nichts zu verbergen habe, habe auch nichts zu befürchten, ignoriert die Realität: Auch ein rechtschaffener Bürger hat, wenn er z. B. pädophil, schwul oder Angehöriger einer sonstigen beargwöhnten oder übel beleumundeten Minderheit ist oder einen Migrationshintergrund besitzt oder geistig behindert oder psychisch krank ist oder die Veranlagung zu irgendeiner schweren Krankheit in sich trägt oder bereits an ihr leidet, durchaus nach wie vor etwas zu fürchten, nämlich das Unverständnis und die Vorurteile der Mehrheit, die ihn ohne jede eigene Schuld z. B. zur Arbeitslosigkeit verurteilen können. Zwar wäre es in der Tat schön, wenn jeder zu dem stehen könnte, was er ist und tut, solange es sich nicht um etwas handelt, das Dritten schadet, aber so aufgeklärt, hilfsbereit und vorurteilsfrei ist unsere Gesellschaft leider großenteils nicht. Die Aufforderung z. B., seine Pädophilie öffentlich zu machen, kommt angesichts der verbreiteten Ablehnung auch enthaltsam lebender Pädophiler derzeit einer Aufforderung zum gesellschaftlichen Selbstmord gleich – und das Verhalten von Polizei und Staatsanwaltschaft gegenüber Herrn Edathy einer öffentlichen politischen Hinrichtung.

Denn während Lesben und Schwule unter Hinweis darauf, dass ihre Beziehungen keinem Dritten schaden, Homosexualität zudem nicht ansteckend ist, außerdem kein Mensch zur Homosexualität verführt werden kann und schließlich Lesben und Schwule im Wesentlichen Menschen wie Du und ich sind, inzwischen in Teilen der Bevölkerung toleriert oder sogar akzeptiert werden, gilt das für Pädophile kaum. Vielmehr spukt das Bild des Unholds, der Kinder vergewaltigt und anschließend ermordet, in den Köpfen herum – ein Bild, das mit dem realen Leben der meisten Pädophilen gewiss nichts zu tun hat.

Was ist zu tun?

Wem es als Bürger oder Politiker Ernst ist mit dem Schutz von Kindern vor Annäherungsversuchen oder sogar Übergriffen von Pädophilen, wem es also nicht nur darum geht, ein Ventil für sein emotionales Unbehagen zu finden, der wird Pädophile nicht noch weiter ausgrenzen und kriminalisieren und z. B. nicht bereits den Besitz harmloser Nacktfotos unter Strafe stellen wollen, sondern er wird ihnen zu helfen versuchen, mit ihrer Neigung zu leben, ohne sie real auszuleben. Das Verbot jeglicher Wichsvorlagen ist dabei wahrscheinlich nicht hilfreich, denn es vermindert die Möglichkeiten, mit seinen sexuellen Wünschen und Bedürfnissen sozialverträglich umzugehen. Dass offenbar sehr viele, wenn nicht fast alle Männer sich pornographische Fotos oder Filme anschauen, obwohl Pornographie nach wie vor gesellschaftlich tabuisiert ist, und es selbst dann tun, wenn sie in einer festen Partnerschaft leben bzw. verheiratet sind, zeigt meines Erachtens, dass es offensichtlich einen entsprechenden Bedarf gibt, weil sexuelles Begehren und Liebe eben nicht identisch sind.4 Pädophile sollten deshalb meiner Meinung nach weiterhin das Recht haben, nicht explizit pornographische Aufnahmen nackter Kinder zu besitzen.

Statt mit zusätzlichen Verboten sein Gewissen und die Stammtische zu beruhigen zu versuchen, wird ein Politiker, dem es Ernst ist mit dem Schutz von Kindern vor Annäherungsversuchen oder sogar Übergriffen von Pädophilen, vielmehr tatkräftig Initiativen und Institutionen unterstützen, die Therapien für behandlungswillige Pädophile anbieten, z. B. das Präventionsnetzwerk Kein Täter werden, und zwar nicht nur ideell, sondern auch finanziell. Leider gibt es nämlich derzeit viel zu wenige Therapieplätze für behandlungswillige Pädophile. Ein Politiker, dem es Ernst ist mit dem Schutz von Kindern vor Pädophilen, wird sich also dafür einsetzen, dass mehr Therapieplätze geschaffen werden.

Wer darüber hinaus verhindern möchte, dass in Ländern Osteuropas oder der Dritten Welt arme Kinder mit Geld oder sonstigen Geschenken dazu gebracht werden, für pornographische Aufnahmen zur Verfügung zu stehen, bzw. von ihren Eltern, die dafür von den Pornoproduzenten Geld erhalten, für pornographische Aufnahmen zur Verfügung gestellt werden, muss helfen, die dortigen Lebensumstände und Arbeitsmöglichkeiten so zu verbessern, dass die Kinder und Eltern auf Einkünfte aus Pornoproduktionen verzichten können. Das kostet natürlich Geld – wesentlich mehr Geld als das schlichte Verbot des Besitzes von kinderpornographischen Aufnahmen. Allerdings wäre eine solche Verbesserung der Lebensumstände, Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten auch wesentlich nachhaltiger und würde den Kindern und deren Eltern wesentlich mehr nützen.

Schließlich sollte jeder, dem das Wohl der Kinder am Herzen liegt, daran denken, dass es nicht nur den illegalen sexuellen Missbrauch von Kindern gibt, sondern dass Millionen von Kindern ganz legal durch Hunger, harte körperliche Arbeit, fehlende oder mangelhafte Schul- und Berufsausbildung, Zwangsverheiratung – zum Teil an wesentlich ältere Männer –, körperliche Züchtigungen bzw. Misshandlungen, Beschneidungen, ungenügende medizinische Versorgung, eine vergiftete Umwelt usw. geschädigt oder sogar getötet werden – und dass wir alle dazu beitragen, nämlich durch Wegschauen, Weghören, Schweigen, Nichtstun, Verschwendung von Ressourcen, übermäßigen Fleischverzehr, Hinnahme von Spekulation mit Lebensmitteln sowie durch den Kauf von Waren, die in Ländern der Dritten Welt unter menschenunwürdigen Bedingungen billigst produziert und hier mit Gewinn – bei Markenartikeln in der Regel sogar mit sehr großem Gewinn – verkauft werden. Wir selbst sind es, die durch unseren Lebensstil täglich töten. Wohlfeile Empörung über praktizierende Pädophile reicht also nicht aus: Wer wirklich helfen will, muss mehr tun und sein eigenes Leben ändern.

Zuletzt sei noch angemerkt, dass Kinder Erwachsenen zwar in der Regel physisch und intellektuell unterlegen, aber gleichwohl keine willen- und wunschlosen, asexuellen Wesen sind. Die Annäherungsversuche und Übergriffe Pädophiler sollten deshalb gerechterweise nicht ohne Berücksichtigung des Verhaltens des Kindes be- bzw. verurteilt werden. So kann man sich wundern, wenn man liest, dass ein Mann Mitte 20 wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wird, obwohl das zum Tatzeitpunkt 13-jährige, aber nicht mehr wie ein Kind aussehende oder wirkende Mädchen vor Gericht ausdrücklich erklärt, es habe den Beischlaf gewünscht. Der Verfasser selbst kann sich erinnern, dass er 1972 – da war er zwölf Jahre alt – während der Olympischen Spiele in München für Mark Spitz schwärmte – und zwar nicht wegen dessen sportlicher Leistungen.

PS: Falls Sie den obigen Link harmloser Nacktfotos angeklickt und das Spiel gespielt oder angefangen haben zu spielen, haben Sie die oben erwähnte Behauptung von Polizei und Staatsanwaltschaft, dass jeder (!) Mensch, der sich zunächst nichtpornographische Fotos nackter Minderjähriger ansehe, später immer (!) auch pornographische Fotos nackter Minderjähriger anschaue, bereits widerlegt – sofern Sie nicht in Zukunft noch auf die Idee kommen, entsprechende pornographische Aufnahmen zu suchen. Sollten Sie Politiker sein, wäre es gleichwohl bereits jetzt an der Zeit, einen Rücktritt von allen Ämtern zu erwägen, denn möglicherweise verrät die NSA der deutschen Polizei, welche Fotos Sie soeben betrachtet haben.
 

1 So steht es u. a. in dem Artikel Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy von Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, in DIE ZEIT 10/2014 vom 27.2.2014, dem dieser Text viel verdankt.

2 Nachtrag März 2015: Am 2.3.2015 wurde das Verfahren gegen Sebastian Edathy am zweiten Verhandlungstag gegen Zahlung von 5.000 Euro und nach Abgabe einer von der Staatsanwaltschaft und Herrn Edathy bzw. seinem Anwalt ausgehandelten Erklärung vom Landgericht Verden eingestellt. Die Erklärung im Wortlaut: "Die Vorwürfe treffen zu. Die in der Anklage genannten Gegenstände wie der Bildband und die CD habe ich in meinem Besitz gehabt. Das Gleiche gilt auch für die Logdaten, ich habe die Dateien heruntergeladen und geöffnet. Der Inhalt war mir bekannt. Ich habe eingesehen, dass ich einen Fehler begangen habe. Ich habe lange gebraucht dazu. Je stärker ich in der Öffentlichkeit angegriffen wurde, desto mehr meinte ich mich verteidigen zu müssen. Ich bereue, was ich getan habe." Diese Erklärung wird von der Staatsanwaltschaft als Geständnis gewertet, während Herr Edathy nach dem Gerichtstermin beteuerte, zwar Fehler eingeräumt zu haben, aber keine Schuld. Welche Fotos und Videos Sebastian Edathy im Einzelnen betrachtet hat und ob und in welchem Maße die betrachteten Fotos und Videos kinderpornographisch waren, wird nunmehr wohl unaufgeklärt bleiben.

Fazit: Angesichts des Ergebnisses des Gerichtsverfahrens frage ich mich, ob die Ermittlungen und das Verfahren den Aufwand und die Kollateralschäden wert waren: Herr Edathy ist – obwohl formaljuristisch unschuldig – politisch und sozial erledigt, weil er sich Fotos nackter Jungen angeschaut hat, die er selbst offenbar zwar für schmuddelig, aber nach wie vor nicht für pornographisch hält und von denen zumindest die aus Kanada bezogenen, welche die Ermittlungen und letztlich den sozialen Tod von Herrn Edathy ausgelöst haben, auch nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft nicht pornographisch sind. Ob die übrigen Fotos, von denen die Staatsanwaltschaft meint, dass sie pornographisch seien, es tatsächlich sind, hat das Gericht nicht geklärt. Genau das wäre meines Erachtens aber seine Aufgabe gewesen, wenn ein solcher Prozess überhaupt Sinn machen soll.

3 Vgl. Sie dazu z. B. den Text Homophobie und Schwulenhass – Ursachen und Gegenmaßnahmen.

4 Vgl. Sie dazu z. B. den Text Glück in der Liebe / Liebesglück.
 

Entstehungsjahr: 2014