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Manchmal ist – außer vielleicht für
strenge Buddhisten – klar, dass man ein Tier töten darf: Die
Mücke, die uns stechen will, die Fliege, die uns ständig
umschwirrt, und die Wespe, die sich immer wieder dem Kuchen
nähert, werden wir wahrscheinlich ohne Gewissensbisse umbringen,
und selbst Ratten und Mäuse – schmerzempfindliche Wesen wie wir
mit einem relativ großen Gehirn – werden wir wohl ohne Zögern
mit Fallen fangen und töten, wenn sie unsere Wohnung oder
unseren Keller heimsuchen. Gleiches gilt für bissige Hunde oder
Wildtiere, die dem Menschen gefährlich werden. Kurzum: Tiere,
die uns schaden oder gefährden, dürfen wir quasi in Notwehr
töten, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, sie unschädlich zu
machen.
Tierschutz bei Nutztieren
Wie aber steht es um Nutztiere? Dürfen wir Schafe, Ziegen, Rinder, Schweine, Hühner, Gänse, Enten, Hasen, Kaninchen, Pferde, Esel, Kamele etc. in Gefangenschaft halten, nutzen und töten? Was spricht dafür? Was spricht dagegen? Welche Kriterien sind zu beachten?
Von Natur aus gibt es keinen Grund, Tiere nicht zu nutzen und nicht zu töten: Der Löwe frisst die Gazelle und die Ameise melkt die Blattlaus. Auch Hunde und Katzen kann man nicht mit Salat oder Gemüse ernähren. Warum sollte dann der Mensch, der ein Allesfresser und kein reiner Pflanzenfresser ist, freiwillig z. B. auf Fleisch, Eier und Milch oder auch auf Wolle, Pelze und Leder verzichten? Selbst als Transportmittel sind Tiere in manchen Gegenden immer noch unentbehrlich. Einen natürlichen Nichtangriffs- oder Nichtnutzungspakt zwischen den Tierarten gibt es nicht, sonst würde sich die Gazelle das Vorgehen des Löwen verbitten. Es ist auch nicht so, dass sich alle tierischen Produkte problemlos durch pflanzliche ersetzen lassen: Wer rein vegan lebt, gefährdet seine Gesundheit, weil der menschliche Körper manche Nährstoffe und Spurenelemente aus Fleisch und Eiern viel leichter und besser aufnehmen kann als aus Pflanzen, und wer seine Kinder rein vegan ohne Nahrungsergänzungsmittel ernährt, schädigt sie schwer oder bringt sie sogar um (Mangel an Vitamin B12). Es gibt also neben dem Geschmackserlebnis durchaus weitere gute Gründe, in Maßen Fleisch zu essen.
Freilich verfügt der psychisch und hirnorganisch gesunde Mensch über die Fähigkeit zum Mitgefühl, und dieses hindert ihn im Normalfall nicht nur daran, seinen Mitmenschen – zumindest, sofern sie zur eigenen Bezugsgruppe gehören – schweren Schaden zuzufügen oder sie gar zu töten, sondern auch daran, seine Haustiere und auch seine Nutztiere – zumindest, sofern sich zu ihnen durch Gewöhnung und Nähe ein intensives emotionales Verhältnis entwickelt hat – zu quälen und bedenkenlos zu töten. Alle gesetzlichen Regelungen zum Tier- und Menschenschutz bauen auf dieser Fähigkeit des Menschen zum Mitgefühl auf und werden deshalb in der Regel von jenen Menschen, denen diese Fähigkeit fehlt, weil sie z. B. psychisch krank sind oder in der zuständigen Hirnregion einen organischen Schaden haben, trotz Kenntnis der Gesetze immer wieder missachtet.
Um seines eigenen inneren Friedens
willen sollte der psychisch gesunde Tierhalter also darauf bedacht sein, seine Nutztiere
möglichst artgerecht – auch hinsichtlich der Nahrung – zu halten sowie
schnell und schmerzlos zu töten, wenn es an der Zeit ist. Die
staatliche und überstaatliche Gesetzgebung – z. B. der EU – kann
und sollte ihn dabei unterstützen, indem sie ganz konkret eine
artgerechte Tierhaltung vorschreibt und einen
Kostensenkungswettbewerb der Tierhalter auf Kosten der Tiere
verhindert. Ebenso kann und sollte sie den Tierhaltern
Qualzüchtungen z. B. mit dem Ziel der Vergrößerung von
Fleischsegmenten, die vom Verbraucher besonders nachgefragt
werden, etwa der Brust bei der Pute, verbieten. Dass die Tierschutzgesetze in Europa und
anderswo offensichtlich unzureichend sind und die
Grausamkeiten der fast immer tierquälerischen
Massenhaltung nicht verhindern, dürfte außer an der Geldgier
und der daraus resultierenden Lobbyarbeit der Tierhalter, der
Nahrungsmittelindustrie und des Handels allerdings auch am Geiz der Verbraucher liegen, die zwar in
ihrer großen Mehrheit im Prinzip den Tierschutz bejahen, aber
zugleich vielfach nicht bereit sind, den bei artgerechter
Tierhaltung entsprechend höheren Preis für Fleisch, Eier etc. zu
zahlen.
Darf man Tiere töten, um ihr Fleisch zu essen?
Der Verweis auf eine möglichst artgerechte Tierhaltung und eine schnelle und schmerzlose Schlachtung wird einen überzeugten Vegetarier allerdings nicht davon abbringen, das Töten von Tieren zum Zwecke des Fleischverzehrs weiterhin abzulehnen. Die Tierhaltung insgesamt können freilich auch Vegetarier nicht ablehnen, denn auch sie nutzen Tiere, wenn sie Eier oder Käse essen oder Lederschuhe tragen, und sie tragen sogar Verantwortung für die Tötung von Tieren, denn die genutzten Tiere sowie die überzähligen Tiere, z. B. die meisten Bullen und männlichen Küken, müssen getötet werden, da sie aus Kostengründen nicht bis an ihr natürliches Lebensende durchgefüttert werden können.
Wie bereits erwähnt, ist das Töten eines Tieres zum Zwecke des Fleischverzehrs aus naturrechtlicher Sicht unbedenklich: Zum Verhaltensrepertoire eines Allesfressers gehören das Töten und Verzehren von Beutetieren. Auch unter dem Aspekt des Mitgefühls ist ein für das Tier unvorhersehbarer, schneller und schmerzloser Tod nicht zu beanstanden: Schließlich wünschen sich sogar viele, wenn nicht die meisten Menschen exakt einen solchen Tod. Werden dem Tier aber durch die Tötung bereits nach relativ kurzer Lebenszeit – ein Schwein z. B. wird nach ca. 6 bis 9 Monaten geschlachtet, könnte aber gut 10 bis 12 Jahre alt werden – nicht unzulässigerweise Lebensjahre und damit Lebensglück gestohlen?
Das mag man meinen, jedoch ist das Weiterleben bis zum Tod aus Altersschwäche für das Nutztier Schwein keine realistische Alternative. Die tatsächliche Alternative zur frühen Schlachtung ist vielmehr, gar-nicht erst geboren zu werden, denn wenn ein Tierhalter sein Schlachtvieh nicht mehr schlachten darf, sobald es reif für die Schlachtung ist, oder wenn keine Nachfrage nach Fleisch und Wurst mehr besteht, weil alle Menschen Vegetarier geworden sind, wenn also dem Tierhalter seine Nutztiere keinen Nutzen mehr bringen, wird er in Zukunft keine mehr großziehen. Mit dem Verzicht auf Fleisch vermehrt man also nicht die Anzahl glücklicher Nutztiere, sondern verurteilt die entsprechenden Arten zum Aussterben.
Im Übrigen ist der Schaden durch
entgangene Lebenszeit und entgangenes Lebensglück, den ein
Nutztier durch seine frühe Schlachtung erleidet, natürlich
nicht vergleichbar mit dem Verlust an Lebenschancen, den ein
Mensch bei einem Tod in jungen Jahren erfährt: Schweine, Schafe,
Rinder, Hühner etc. überblicken ihr Leben nicht, schmieden keine
Pläne für die Zukunft und haben nur sehr eingeschränkte
Interessen, nur sehr eingeschränkte intellektuelle Fähigkeiten
und kein dem menschlichen vergleichbares Bewusstsein ihrer
selbst. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sie ihr gesamtes
Lebensglück dem Tierhalter verdanken und ohne seine Fürsorge in
der Regel nicht überleben können – auch als erwachsene Tiere
nicht. Hat dieser dann nicht das moralische Recht, den Zeitpunkt
ihres Todes zu bestimmen? Ein Schwein, Rind, Schaf oder Huhn ist
eben kein Mensch und hat folglich nicht die Rechte eines
Menschen.
Massentierhaltung, Lebensmittelknappheit und Umweltschutz
Fern aller Gefühligkeit gibt es jedoch mindestens zwei triftige Gründe, den Fleischkonsum zu reduzieren: Zum einen verschlingt die massenhafte Fleischproduktion ungeheure Mengen an Getreide und Soja. Als Folge steigen aufgrund der natürlichen Begrenztheit der Getreideproduktion einerseits und der hohen Nachfrage andererseits die Getreidepreise insbesondere bei weltweit schlechten Ernten immer wieder derart an, dass die Armen in den Entwicklungsländern, aber auch z. B. in den USA sich nicht mehr genug Lebensmittel kaufen können und hungern oder sogar verhungern müssen. Der übermäßige Fleischkonsum trägt also wesentlich zum Hunger in der Welt bei.
Zum anderen sind die festen, flüssigen und gasförmigen Ausscheidungen vor allem der Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine in erheblichem Maße umwelt- und klimaschädlich (insbesondere Methan und Lachgas) und beschleunigen aufgrund ihrer schieren Menge den Klimawandel.1
Bei einer Abschaffung der
Massentierhaltung würden sich diese Probleme wahrscheinlich von
selbst erledigen.2 Bei traditioneller und speziell bei
ökologischer Tierhaltung – wenn sie tatsächlich den
Versprechen der Tierhalter bezüglich einer nicht nur
gesetzeskonformen, sondern wirklich artgerechten Tierhaltung
entspricht,
was wohl
durchaus nicht immer der Fall ist – können zudem bei weitem nicht so viele
Tiere gehalten werden wie bei Massentierhaltung. Dadurch
würde das Angebot sinken, die Preise würden steigen und die
Nachfrage würde sich anpassen. Es würde also weniger Fleisch
produziert, gekauft und verzehrt werden.
Die Grundprobleme: Bevölkerungswachstum und Konsumsucht
Eine Drosselung des Fleischkonsums allein würde die grundlegenden Fehlentwicklungen, die Ressourcenraubbau, Umweltzerstörung, Klimawandel und Artensterben verursachen, allerdings nicht beseitigen, nämlich das starke Anwachsen der Weltbevölkerung und den stetigen Anstieg des Verbrauchs von Konsumgütern pro Person – bei gigantischen Ungleichheiten sowohl zwischen den als auch innerhalb der Staaten. Beides zusammen führt zur rücksichtslosen Ausbeutung von Bodenschätzen, Land und Meer, zur Besiedlung und landwirtschaftlichen Nutzung immer weiterer, zuvor im Wesentlichen naturbelassener Landschaften und damit zur Zurückdrängung und schließlich zum Aussterben der dort bislang lebenden Tier- und Pflanzenarten.
Wollen wir hoffen, dass es der Menschheit noch rechtzeitig gelingt, ihre Geburtenraten und ihren Konsum weltweit zu kontrollieren, den zur Verfügung stehenden Ressourcen anzupassen und zur Zufriedenheit zu finden. Andernfalls wird es bald wohl kaum noch größere Wildtiere und Wildpflanzen geben, sondern nur noch einige wenige Arten von Nutzpflanzen und Nutztieren – von noch schlimmeren Szenarien ganz zu schweigen.3
1 Detailliertere
Informationen finden Sie z. B. in dem Artikel
Tierhaltung in der Landwirtschaft – Der globale Fleischkonsum
zerstört die Umwelt und ist mitverantwortlich für den Hunger in
der Dritten Welt!.
2 Vgl. Sie dazu z. B. das Buch "Die Kuh ist kein
Klima-Killer! Wie die Agrarindustrie die Erde verwüstet und was
wir dagegen tun können" von Anita Idel, Marburg 2010.
3 Vgl. Sie zum Hunger in der Welt und zu den
Versuchen, ihn zu bekämpfen, z. B. die Bücher "Kein Brot für die
Welt. Die Zukunft der Welternährung" von Wilfried Bommert,
München 2009, "Die Mitleidsindustrie. Hinter den Kulissen
internationaler Hilfsorganisationen" von Linda Polman, Frankfurt
a. M. 2010, und "Das Imperium der Schande. Der Kampf gegen Armut
und Unterdrückung" von Jean Ziegler, München 2005 und 2008.
Entstehungsjahr: 2010