Wer lügt, gewinnt?

 

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Spiele wie Memory

Ausgangslage

„Es ist egal, was du sagst, Stephanie, sag‘ es oft genug und die Leute werden dir glauben.“ Das erklärte Donald Trump seinerzeit seiner Pressesprecherin Stephanie Grisham – und er hat recht. Je öfter wir Aussagen hören, desto eher neigen wir dazu, sie zu glauben – auch wenn sie unwahr sind. Dafür sorgt unser Gehirn. Das ist der sogenannte Illusory Truth Effect, zu Deutsch Wahrheitseffekt.

Der Wahrheitseffekt (illusory truth effect oder frequency validity effect) beschreibt das Phänomen der kognitiven Psychologie, dass Aussagen, die zuvor bereits gehört oder gelesen wurden, ein größerer Wahrheitsgehalt zugesprochen wird als solchen, die zum ersten Mal gehört werden. Übrigens ist dieser Effekt weitgehend unabhängig von Merkmalen der Person, etwa der Intelligenz oder Persönlichkeit.

Dieser Wahrheitseffekt beruht auf Prozessen des impliziten Gedächtnisses, denn der eigentliche Gedächtnisinhalt kann zwar nicht bewusst erinnert werden, führt jedoch dazu, dass sein Wahrheitsgehalt höher eingeschätzt wird. Die reine Wiederholung von Aussagen erzeugt offenbar einen Schein von Wahrhaftigkeit um fast jede Aussage, sodass bereits der bloße Kontakt mit Informationen diese mit einem subjektiven Gefühl der Glaubwürdigkeit auflädt. Politiker, Verkäufer und Manipulatoren setzen seit jeher auf diese Macht der Wiederholung.

Wiederholungen führen übrigens auch dazu, dass sich falsche Aussagen irgendwann wahr anfühlen, denn je öfter man sie hört, desto vertrauter werden sie, desto größer wird die Bereitschaft, ihnen Glauben zu schenken. Diesen Effekt machen sich vor allem Populisten zunutze, sodass es wichtig ist, dass sich Menschen mit Expertise wie etwa Wissenschaftler, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlen, von der Zurückhaltung verabschieden und ihre Themen, Thesen und Geschichten wiederholt in Umlauf bringen.

(Quelle, aufgerufen am 23.8.2024: Stangl, W., Wahrheitseffekt. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik)
Weitere Informationen u. a.: https://www.reclaimthefacts.com/der-illusorische-wahrheitseffekt-definition-beispiele-und-vermeidungsstrategien/ und https://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheitseffekt_und_Wahrheitsurteile

Donald Trump ist es u. a. durch ständige Wiederholung der Story vom angeblich gestohlenen Wahlsieg bei der Präsidentschaftswahl 2020 gelungen, trotz der Niederlage der führende Politiker der Republikaner zu bleiben und 2024 wieder Präsidentschaftskandidat der Republikaner zu werden. Dem russischen Diktator Wladimir Putin gelingt es durch die Verbreitung und ständige Wiederholung der Narrative, dass Russland durch die NATO bedroht werde und mit dem Eroberungskrieg gegen die Ukraine lediglich einem Angriff der Ukraine auf Russland zuvorgekommen sei, die Bereitschaft eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung Deutschlands – und vieler Politiker*innen Deutschlands – zu schwächen, die Ukrainer*innen bei ihrem Abwehrkampf zu unterstützen.

Sahra Wagenknecht ist es gelungen, durch ständige Wiederholung etliche Menschen wahrheitswidrig davon zu überzeugen, dass der Aggressor Russland bzw. Herr Putin zu substanziellen Friedensverhandlungen bereit sei und es an den Ukrainer*innen liege, dass es noch keine Friedensverhandlungen und keinen Frieden gibt, weshalb den Ukrainer*innen weitere Unterstützung verweigert werden müsse. Und der AfD gelingt es, durch ständiges Hinweisen auf die Straftaten einiger weniger Flüchtlinge/Asylbewerber*innen alle Flüchtlinge/Asylbewerber*innen als potenzielle Kriminelle und Sozialschmarotzer*innen zu diskreditieren.

Die letzten beiden Beispiele zeigen zudem, dass es nicht einmal nötig ist, explizit die Unwahrheit zu sagen, um Menschen(gruppen) in Misskredit zu bringen. Es reicht vielmehr, durch Verschweigen oder Kleinreden wichtiger Fakten – z. B. der Tatsachen, dass Russland die Ukraine angegriffen hat, nicht umgekehrt, und dass Herr Putin nach wie vor plant, die gesamte Ukraine und weitere Staaten der ehemaligen Sowjetunion und des ehemaligen Warschauer Paktes wieder unter russische Kontrolle zu bringen, also gar keinen dauerhaften und stabilen Frieden anstrebt – sowie durch Verallgemeinern von Taten Einzelner – z. B. einzelner muslimischer Flüchtlinge – ganze Gruppen und Staaten scheinbar ins Unrecht zu setzen und auf dieser Basis das Verweigern von Hilfe oder sogar Repressionen zu rechtfertigen.

Was ist zu tun?

Es ist wahrscheinlich hilfreich, aber gewiss nicht ausreichend, wenn „Menschen mit Expertise wie etwa Wissenschaftler, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlen, von der Zurückhaltung verabschieden und ihre Themen, Thesen und Geschichten wiederholt in Umlauf bringen.“ Falls dabei die Unwahrheiten und Lügen, gegen die argumentiert wird, wiederholt werden, kann es aufgrund des Wahrheitseffektes allerdings sogar passieren, dass die falschen Ansichten verstärkt statt korrigiert werden.

Wirksamer ist es dagegen, zum einen offensichtliche öffentliche Lügen, Beleidigungen, Hetze usw. konsequent zu verfolgen und zu bestrafen – was bislang in Deutschland kaum geschieht – und auch die sogenannten sozialen Medien zur Rechenschaft zu ziehen – was meines Wissens in Deutschland bislang überhaupt nicht geschieht – und zumindest mit hohen Geldstrafen zu sanktionieren, wenn sie – in der Regel algorithmengesteuert – öffentliche Lügen, Beleidigungen, Hetze usw. als Posts oder Videos oder Podcasts oder wie auch immer von sich aus verbreiten.

Zum anderen könnten Berichte und Darstellungen, die nicht "nur" Richtigstellungen und Reaktionen auf negative Propaganda sind, sondern – um bei den genannten Menschengruppen zu bleiben – Ukrainer*innen, Flüchtlinge und Migrant*innen positiv oder zumindest unvoreingenommen schildern, ihre Leistungen würdigen und erläutern, dass sie eben nicht nur, nämlich aktuell, eine Belastung für das Schulsystem, den Wohnungsmarkt, den Haushalt und die Sozialsysteme, sondern auch, nämlich zukünftig bzw. zum Teil bereits jetzt, Berufstätige und damit Steuerzahler*innen sowie Einzahler*innen in das Sozialversicherungssystem sind, eine positive Stimmung und die Akzeptanz der zuvor beargwöhnten oder sogar angefeindeten Gruppen fördern.

Drittens sollten natürlich tatsächlich existierende Missstände beseitigt werden. In den Bereichen Flüchtlinge und Zuwanderung bedeutet das, dass die Anzahl der Aufzunehmenden nicht unbegrenzt und dass allein die Herkunft aus einem von einem Diktator oder einem diktatorischen Regime beherrschten Land noch kein hinreichender Grund für Asylgewährung sein kann. Andernfalls hätten u. a. alle Russ*innen und alle Chines*innen Anspruch auf Asyl in Deutschland. Außerdem sollten Flüchtlinge und Asylbewerber*innen sich nicht selbst aussuchen dürfen, in welches Land der EU sie gehen, sondern die Aufnahme sollte zentral geregelt und die Anzahl der aufzunehmenden Flüchtlinge gemäß der Wirtschaftskraft der europäischen Staaten bemessen werden. Da derzeit die Drittstaatenregelung gilt, dürften theoretisch eigentlich kaum Flüchtlinge und Asylbewerber*innen nach Deutschland gelangen.

Langfristig könnte mehr Medienkompetenz, in der Schule vermittelt, vielleicht helfen, Lügen zu erkennen, aber angesichts von KI-Bildern und KI-Videos, die für Laien nicht mehr von echten Aufnahmen zu unterscheiden sind und mit denen Politiker*innen – und allen anderen Personen – beliebige gefälschte Aussagen und Aktionen untergeschoben werden können, ist das eine vage Hoffnung. Letztlich bleibt der*dem Einzelnen wohl nur die Möglichkeit, ihre*seine Informationen aus vertrauenswürdigen journalistischen Quellen zu beziehen – und dabei nicht auf z. B. vom Putin-Regime lancierte Doppelgänger-Websites hereinzufallen – und allen anderen Quellen mit gehörigem Misstrauen zu begegnen – oder sie gleich ganz zu ignorieren.
 

Entstehungszeit: September 2024
 

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