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Staat, Wirtschaft und Demokratie
In einer Demokratie gibt es zwischen Staat und Wirtschaft – sofern es sich um ein kapitalistisches Wirtschaftssystem handelt – zwangsläufig Konflikte. Denn während das Wirtschaftssystem darauf ausgerichtet ist, mittels der Produktion und des Verkaufes von Waren und Dienstleistungen den Profit des Einzelnen und insbesondere der Unternehmenseigner zu maximieren, verpflichten sich demokratisch gewählte Volksvertreter, das Wohl der Gesamtbevölkerung zu mehren und die Wünsche, aber auch die langfristigen Interessen der Wähler und künftiger Generationen zu berücksichtigen. Privatunternehmen handeln also profitorientiert und häufig nur dann ethisch korrekt, wenn sie durch Gesetze dazu gezwungen werden oder es ihnen aus Marketinggründen opportun erscheint, demokratische Politiker denken und handeln dagegen dem Ideal nach gemeinwohlorientiert.

Profitorientiertes Handeln dient nicht automatisch zugleich dem Gemeinwohl. Was den Unternehmen nach Ansicht der Unternehmer und Manager betriebswirtschaftlich nützt – möglichst niedrige Löhne, möglichst lange Arbeitszeiten, möglichst verdichtete Arbeit, möglichst wenig Urlaub, möglichst kein Kündigungsschutz, möglichst umfassende Verfügbarkeit aller Beschäftigten, generell möglichst geringe Kosten –, nützt nicht automatisch auch der Volkswirtschaft und der Allgemeinheit. Regelungen zum Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutz, zur Absicherung im Alter und bei Krankheit durch eine gesetzliche Renten- und Krankenversicherung, zur Ressourcenschonung, zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zur Gefahrenabwehr bei risikoreichen Techniken, zur gleichmäßigeren Verteilung der Unternehmensgewinne etc. mussten bislang – meines Wissens immer – gegen den Widerstand der betroffenen Unternehmen und Wirtschaftsverbände durchgesetzt werden. Denn alle diese Maßnahmen schmälern zumindest kurzfristig den Profit der Unternehmenseigner, bewahren jedoch Arbeitnehmer und deren Familien, die Bevölkerung insgesamt sowie kommende Generationen vor Schaden. Überhaupt hat ein Unternehmen, das nur auf Kostensenkung setzt und nicht in die Entwicklung innovativer, gewinnträchtiger Produkte und Dienstleistungen investiert, langfristig keine Zukunft.

Aus Sicht der großen Mehrheit der Bevölkerung zumindest in Deutschland ist der Kapitalismus ein notwendiges Übel: Er dient – oder diente jedenfalls in der Vergangenheit – der allgemeinen Wohlstandsmehrung, wobei die überaus ungleiche Verteilung des Wohlstands in Kauf genommen wurde und die schlimmsten frühkapitalistischen Auswüchse – weitgehende Rechtlosigkeit und gnadenlose Ausbeutung der Arbeitnehmer, massive Umweltverschmutzung, Täuschung der Verbraucher etc. – durch Staat, Gewerkschaften und Verbraucherverbände verringert werden konnten. Warum auch sollten sozial empfindende Menschen – und alle psychisch gesunden Menschen haben ein soziales Gewissen und Gerechtigkeitsempfinden – ein Wirtschaftssystem bejubeln, das zwar trotz aller Krisen bislang den Wohlstand gemehrt hat, zugleich aber Habgier und Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Verschlagenheit fordert und fördert?

Aus Sicht der Unternehmenseigner und Kapitalbesitzer wiederum hat die Demokratie – und zwar insbesondere eine solche, in der sie über von ihnen finanzierte Politiker und Parteien, Politiker"berater" und Lobbyisten faktisch immer mitregieren – gegenüber absoluten Monarchien und Diktaturen den Vorteil, dass sie weitgehend frei wirtschaftlich tätig werden können, dass ihr Besitz – und zwar nicht nur ihr privater Besitz, sondern auch ihr Besitz an Produktionsmitteln, also Unternehmen – in der Regel unangetastet bleibt und dass sie in Demokratien nach den bisherigen Erfahrungen auf jeden Fall besser vor willkürlichen Enteignungen geschützt sind als bei jeder anderen bislang bekannten Regierungsform.

Natürlich können auch Arbeitnehmer habgierig, egoistisch, rücksichtslos und verschlagen sein und ihre Macht missbrauchen, aber meistens und speziell in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit – und trotz der Existenz von Gewerkschaften – sind eben doch die Arbeitgeber / Unternehmenseigner die Mächtigeren und die Arbeitnehmer diejenigen, die arbeitsrechtlichen Schutzes bedürfen.

Reicht es also aus, wenn der Staat darauf achtet, dass der Wettbewerb funktioniert, sich also keine Monopole, Oligopole und Kartelle bilden, und dass die Unternehmen gewisse Standards bezüglich Umweltschutz, Mitarbeiterschutz, Verbraucherschutz und Ressourcenschonung einhalten? Oder muss der Staat stärker in die Wirtschaft eingreifen und z. B. selbst wirtschaftlich tätig werden?

Privat- oder Staatsunternehmen?
Das Scheitern der Planwirtschaft in den ehemals kommunistischen Ländern des Ostblocks hat gezeigt, dass eine zentrale Planung aller wirtschaftlichen Aktivitäten durch den Staat nicht sinnvoll ist. Dennoch ist zu fragen, ob die Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse des Menschen nach Nahrung, Kleidung und Wohnung, nach Energie, Wasser und Mobilität, nach Bildung / Ausbildung, nach Absicherung im Alter und bei Krankheit von Privatunternehmen wirklich gewährleistet wird / werden kann – und zwar zuverlässiger, effizienter und preiswerter als von staatlichen Betrieben.1

Nahrung und Kleidung
Dass die Bedürfnisse nach Nahrung und Kleidung derzeit ohne staatliches Zutun zu günstigen Preisen von der Privatwirtschaft befriedigt werden können, dürfte unstrittig sein. Zwar wäre eine stärkere staatliche Kontrolle insbesondere des Lebensmittelsektors wünschenswert, aber niemand ist schließlich gezwungen, jeden Tag Fleisch zu essen und zu diesem Zweck Billigfleisch zu kaufen oder billige, aber häufig nicht den internationalen Sicherheitsstandards genügende Waren z. B. aus China zu erwerben.

Mietwohnungen
Anders sieht es bezüglich bezahlbarer Wohnungen aus: Dass etliche Mitbürger auf Wohngeld angewiesen sind, zeigt nicht nur, dass es in Deutschland viele Geringverdiener gibt, sondern auch, dass es zumindest regional an preiswertem Wohnraum mangelt. Dass der Staat sich hier nicht engagiert und zahlreiche Städte und Bundesländer sogar in großem Umfang Wohnungen zu Niedrigpreisen an Finanzinvestoren verkauft haben oder noch zu verkaufen beabsichtigen, war/ist meines Erachtens weder sozial noch klug. Denn die Finanzinvestoren haben die Wohnungsbestände weitestgehend mit Hilfe von Bankenkrediten gekauft, die Zinsen mit Teilverkäufen des Bestandes, Personalabbau, Outsourcing und Lohndrückerei bei den übernommenen Wohnungsbaugesellschaften sowie mit drastischen Mieterhöhungen, die teilweise mit objektiv überflüssigen "Modernisierungsmaßnahmen" wie dem Anbau von Balkonen und dem Einbau luxuriöser Bäder begründet wurden, finanziert und die Wohnungsbestände anschließend zu einem erheblichen Teil mit erklecklichem Gewinn wieder weiterverkauft.2

Den Schaden hatten und haben die oft finanzschwachen Mieter, deren Mieten erhöht wurden oder die dazu gedrängt wurden, ihre bisherige Mietwohnung als Eigentumswohnung zu erwerben, obwohl sie eigentlich gar nicht über das erforderliche Kapital verfügten und verfügen. Verlierer sind aber auch die betreffenden Kommunen selbst: Sie haben sich um einer einmaligen Einnahme willen der Möglichkeit beraubt, in den örtlichen Wohnungsmarkt gestaltend einzugreifen, preiswerten Wohnraum für Bedürftige vorzuhalten und auf diese Weise Wohngeld zu sparen, mittels eines breiten Mietermixes der Bildung von Problemvierteln mit hoher Kriminalität vorzubeugen sowie langfristig sichere Renditen zu erzielen. Denn mit Wohnungsgesellschaften in kommunalem oder genossenschaftlichem Besitz lassen sich auch bei sozialverträglichen Mieten und humaner Behandlung der Mieter und Mitarbeiter durchaus Gewinne erwirtschaften.

Energie und Wasser
Der Gas- und Wassermarkt ist durch regionale Monopole oder Oligopole gekennzeichnet. Auch diese Wirtschaftsbereiche haben viele Kommunen aus kurzfristigen finanziellen Erwägungen heraus – nämlich zwecks Haushaltssanierung – aus der Hand gegeben. In der Folge haben die Großunternehmen, welche die kommunalen Betriebe aufgekauft haben, ihre regionale marktbeherrschende Stellung in der Regel schamlos ausgenutzt und die Preise kräftig erhöht. Das ist nicht zu beanstanden, da das Ziel von Aktiengesellschaften nun einmal der maximale Profit ist.

Kein Ruhmesblatt sind die Verkäufe dagegen für die dafür verantwortlichen Politiker, die diese Entwicklung hätten voraussehen können und müssen: Warnende Stimmen gab es genug. Für eine einmalige Einnahme haben die Verantwortlichen auf langfristige, sichere Gewinne verzichtet und den Bürgern geschadet, die jetzt mehr Geld für das gleiche Produkt und einen häufig schlechteren Service zahlen müssen. Nicht selten waren die Übernahmen zudem mit Personalabbau und Lohndrückerei verbunden. Ein deutschland- oder sogar europaweiter Zusammenschluss oder eine Kooperation der kommunalen Betriebe z. B. zwecks gemeinsamen Einkaufes von Gas und Öl, zwecks gemeinsamer Sicherung der Wasserversorgung oder zwecks überregionaler Initiativen bezüglich dezentraler Stromerzeugung ohne risikoreiche Großprojekte wie Kernkraftwerke wäre gewiss sinnvoller gewesen.

Nicht immer sind freilich die Kommunen selbst für den Rückgang kommunaler Betriebe – und damit von Einnahmequellen und politischen Gestaltungsspielräumen – verantwortlich: Das Land Nordrhein-Westfalen z. B. war seit 2005 unter einer schwarz-gelben Landesregierung aus rein ideologischen Gründen bestrebt, den Kommunen jede wirtschaftliche Betätigung zu verbieten, die auch von Privatunternehmen erledigt werden kann. Es ist offensichtlich, dass dadurch der politische und finanzielle Spielraum der Kommunen weiter eingeschränkt wird und die verantwortlichen Landespolitiker mit dem Verbot nicht das Gemeinwohl, sondern den Profit von Privatunternehmen fördern.

Generell ist zu sagen, dass die bloße Umwandlung eines staatlichen Monopols in ein privates Monopol immer zu Lasten der Verbraucher geht: Da Privatunternehmen im Gegensatz zu staatlichen Unternehmen maximale Gewinne machen wollen, werden private Monopolbetriebe die Verbraucher sobald als möglich hemmungslos schröpfen. Die Verträge, die Kommunalpolitiker vor einer Privatisierung in der Regel aushandeln, um eben das zu verhindern, sind meistens sehr leicht auszuhebeln – z. B. durch Weiterkauf des Betriebes an ein anderes, häufig noch größeres Unternehmen.

Deutsche Bahn
Eine deutliche Verschlechterung des öffentlichen Nahverkehrs ist bei einer Privatisierung der Bahn zu erwarten: Um profitabel zu sein, würden in noch größerem Umfang als bisher unrentable Strecken ausgedünnt und stillgelegt, Bahnhöfe geschlossen, an der Sicherheit gespart, die Preise erhöht und der Service abgebaut werden.3 Nicht das Gemeinwohl, also die bürgernahe, kostengünstige und flächendeckende, sichere, klimapolitisch und volkswirtschaftlich vernünftige Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Beförderungsmöglichkeiten, würde Maßstab künftiger Entscheidungen sein, sondern allein der betriebswirtschaftliche Nutzen. Bereits jetzt vernachlässigt die Bahn die Nebenstecken und investiert lieber für ein paar Minuten Fahrzeitverkürzung Milliardensummen in den Ausbau einiger weniger Hochgeschwindigkeitsstrecken.

Die Volkswirtschaft würde darunter zu leiden haben: Auf dem Lande würde fast niemand mehr ohne Auto auskommen. Wer keines hat oder fahren darf und nicht auf Busse ausweichen kann, müsste in die Stadt ziehen – also z. B. gesundheitlich eingeschränkte Personen, Schüler und Jugendliche sowie gezwungenermaßen auch deren Eltern. Kein Betrieb, der auf eine Bahnanbindung angewiesen ist, würde sich mehr in ländlichen Regionen ansiedeln. Aufgrund des sich verschlechternden Services und der auf Nebenstrecken zunächst immer weniger werdenden und schließlich womöglich ganz wegfallenden Zugverbindungen müssten auch viele Pendler wieder aufs Auto umsteigen. Zuletzt würde es nur noch zwischen den großen Städten Zugverkehr geben. Wer will das?

Die Bahn ist faktisch nach wie vor ein staatliches Monopolunternehmen und wird wohl trotz marginaler regionaler Konkurrenz auch in absehbarer Zukunft im Wesentlichen ein Monopolunternehmen bleiben. Eine Privatisierung der Bahn und damit die Schaffung eines privaten Monopolbetriebes hätte derzeit logischerweise zur Folge, dass die Bahn noch weniger als bisher gemeinwohlorientiert operieren und die Kunden, Kommunen und Bundesländer für noch schlechtere Leistungen noch kräftiger als bisher zur Kasse bitten würde.4

Fraglich ist zudem, ob sich ein Börsengang der Deutschen Bahn für den Staat finanziell überhaupt lohnen würde: Was wäre gewonnen, wenn der Staat das Unternehmen verscherbelte, aber das Schienennetz und weitere Infrastrukturteile in ein paar Jahren zu einem weitaus höheren Preis zurückkaufen müsste?

Autobahnen
Inzwischen sind Politiker dazu übergegangen, die Sanierung, den Ausbau und den Betrieb von Autobahnen privaten Unternehmen mittels Verpachtung zu übertragen und diesen dafür die Einnahmen aus der Lkw-Maut auf den betreffenden Strecken zu überlassen. Die Folgen: Die beauftragten Unternehmen wollen die Bauarbeiten möglichst zeit- und kostensparend in einem Ruck erledigen und nehmen dafür endlose Staus und eine drastische Erhöhung der Unfallzahlen einschließlich tödlicher Unfälle in Kauf. Zudem versuchen sie nicht etwa, die Lkws während der Zeit der Bauarbeiten zwecks Entlastung der Strecke umzuleiten, sondern möchten ganz im Gegenteil trotz der Bauarbeiten möglichst viele Lkws auf die jeweilige Autobahn lotsen, da sie dann entsprechend mehr Lkw-Maut kassieren. Gut für die Autofahrer und die Volkswirtschaft ist das sicherlich nicht.5

Bildung / Ausbildung
Eine schleichende Privatisierung fand im Bereich der Hochschulen in manchen Bundesländern statt – in Nordrhein-Westfalen z. B. unter Bildungsminister Andreas Pinkwart: Zwar erfolgt die Grundfinanzierung weiterhin durch das Land, weil Hochschulen schlichtweg keinen Profit abwerfen und deshalb für Investoren uninteressant sind, aber mittels Studiengebühren und verstärkter Drittmitteleinwerbung sollte der Anteil des Landes an den Kosten gesenkt werden. Zugleich zog sich – jedenfalls in Nordrhein-Westfalen – das Land aus der Verantwortung für die Hochschulen weitgehend zurück, setzte an die Spitze derselben aber stattdessen jeweils einen Hochschulrat, dessen Mitglieder mehrheitlich nicht aus der Hochschule kommen dürfen. Vorbild für diesen Hochschulrat ist offensichtlich der Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften.

In der Hoffnung auf Drittmittelzuflüsse und politisch gewollt handelt es sich bei den externen Mitgliedern des Hochschulrates großenteils um Unternehmer, Geschäftsführer oder sonstige Wirtschaftsvertreter, so dass für die Hochschule wichtige Entscheidungen nun zwar nicht mehr vom Ministerium, aber auch nicht von Mitgliedern der Hochschule, sondern von der Wirtschaft gefällt werden. Faktisch wurden die Hochschulen mit dem so genannten Hochschulfreiheitsgesetz der Wirtschaft übereignet, ohne dass diese für die Unterhaltskosten der Hochschulen aufkommen muss.

Die Folgen sind absehbar: Jene Fachbereiche / Fakultäten / Fächer / Lehrstühle, die einen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen versprechen, werden gefördert, jene dagegen, die keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen verheißen, reduziert werden. Konkret: Die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften und alle Bereiche, die sich vorrangig der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung und -lehre widmen, werden bis auf ein Alibiminimum abgemagert, die Ingenieurwissenschaften und die Informatik ausgebaut werden. Die Universitäten werden sich von Stätten der Bildung, die sie bislang zumindest dem Ideal nach immer noch waren, zu reinen Ausbildungsstätten und – was die Forschung betrifft – zu verlängerten Werkbänken der Betriebe entwickeln.

Das kann man begrüßen, wenn man der Meinung ist, dass Bildung spätestens nach Beendigung des Gymnasiums Privatsache ist und dass Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften etc. sowie universitäre Grundlagenforschung weitgehend überflüssig sind. Aber dann sollte man auch so ehrlich sein, das offen zu sagen, und nicht die wahren Absichten – Kostensenkungen für das Land, Degradierung der Wissenschaft zur Magd der Wirtschaft, also Ausrichtung von Forschung und Lehre allein auf die Wünsche und den vermuteten zukünftigen Bedarf der Unternehmen, Verdrängung des Strebens nach Erkenntnis durch das Streben nach Geld – hinter schönfärberischen Vokabeln wie "Hochschulfreiheitsgesetz" verbergen. Welchen Gewinn an Freiheit soll es den Hochschulen bringen, wenn die Aufsicht des Ministeriums ersetzt wird durch die Zwänge der Ökonomie und es Forschungsgelder nur noch für solche Forschungsprojekte gibt, die einen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen versprechen?

Oft freilich erhalten die Wissenschaftler und Hochschulen bei Kooperationen und Drittmittelprojekten mit Privatunternehmen noch nicht einmal ihren gerechten Anteil am Gewinn, sondern werden mit anerkennenden Worten und ein paar Almosen abgespeist, während das Unternehmen mit der an der Hochschule entwickelten, aber vom Unternehmen patentierten Technologie kräftig absahnt – bei vergleichsweise geringem finanziellem Einsatz, unter Ausnutzung der fachlichen Kapazitäten und der Infrastruktur der Hochschule und ohne eigene – teure – Mitarbeiter beschäftigen zu müssen.

Absicherung im Alter
Da zum einen die Einnahmen des Staates und der Sozialkassen in den letzten Jahren nicht mehr so kräftig sprudelten, zum anderen die Kosten für Renten, Arbeitslosengeld sowie das Gesundheitswesen beharrlich stiegen und weiter steigen werden, der Staat die Unternehmen von Lohnnebenkosten aber möglichst entlasten möchte, hat der Staat die entsprechenden Leistungen in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter gekürzt. Die Kürzung der Renten und Rentenanwartschaften hat zur Folge, dass jeder Arbeitnehmer, der im Alter noch einigermaßen seinen Lebensstandard halten möchte, nunmehr für die so genannte Riester-Rente eine zusätzliche private Rentenversicherung abschließen muss. Selbständige – von denen manche ja auch nicht sehr viel verdienen – können übrigens grundsätzlich nicht in den Genuss der staatlichen Zulagen und eventuellen Steuervorteile der Riester-Rente kommen, obwohl sie diese Zulagen über ihre Steuern mitfinanzieren. Ist eine solche private, kapitalgedeckte Rentenversicherung aber wirklich sicherer als die staatliche Rente oder besteht der einzige Sinn der Riester-Rente darin, unter Hinweis auf sie die Lohnnebenkosten begrenzen zu können?

Die Antwort ist eindeutig: Eine kapitalgedeckte, private Rentenversicherung ist nicht automatisch sicherer als die staatliche Rentenversicherung. Denn das eingezahlte Geld kann von der betreffenden Versicherung durchaus so schlecht angelegt werden, dass am Ende kein Gewinn verbleibt. Wie gut welche Versicherung in den nächsten Jahrzehnten wirtschaften wird, kann der Versicherungsnehmer beim Abschluss der Versicherung aber unmöglich voraussehen. Zudem verlieren bei einem Rückgang der Bevölkerungszahl im Durchschnitt alle Anlagen an Wert, weil die Nachfrage der potenziellen Käufer, nämlich der Anleger im erwerbsfähigen Alter, abnimmt, während zugleich das Angebot steigt, weil die Versicherungen Aktien oder sonstige Beteiligungen verkaufen müssen, um die Ansprüche der steigenden Zahl von Rentnern zu befriedigen.

Der Bevölkerungsrückgang führt also nicht nur dazu, dass bei der staatlichen Rente weniger Beitragszahler für mehr Rentner aufkommen müssen, sondern auch dazu, dass die Renditen bei den privaten Renten recht gering sein werden. Letztlich müssen nämlich sowohl die privaten als auch die staatlichen Renten von der abnehmenden Schar der Erwerbstätigen erwirtschaftet werden. Außerdem wollen natürlich alle privaten Versicherungsgesellschaften an den Riester-Verträgen verdienen und verringern durch Ausgabeaufschläge und jährliche Gebühren noch einmal beträchtlich die Rendite des eingezahlten Geldes. Der Gesetzgeber hindert sie nicht daran und jeder Arbeitnehmer ist völlig überfordert damit, aus hunderten oder tausenden von angepriesenen Riester-Verträgen diejenigen herauszusuchen, die am günstigsten und gewinnträchtigsten zu sein scheinen.

Kurzum: Die zukünftigen Rentner und vorherigen Beitragszahler haben – nach dem heutigen Stand des Wissens bezüglich Besteuerung von Renten und Höhe der staatlichen Rente im Verhältnis zum vorherigen Nettoverdienst – von der Riester-Rente im Vergleich zur staatlichen Rente in der Regel nur Nachteile: Zwar steigen die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in den nächsten Jahren nicht oder nicht stark an, aber dafür ist jeder Arbeitnehmer faktisch gezwungen, einen Riester-Vertrag abzuschließen, um die Kürzungen der staatlichen Rente auszugleichen. Dieser Riester-Vertrag ist für ihn im Endeffekt trotz staatlicher Förderung meistens teurer, als es ein etwas höherer Beitragssatz bei der staatlichen Rentenversicherung gewesen wäre.

Wegen der staatlichen Zulagen für Verheiratete und Kinder ist die Riester-Rente für verheiratete Alleinverdiener mit Kindern zwar deutlich interessanter als für ledige Arbeitnehmer ohne Kinder, aber diese Umverteilungen wären auch innerhalb der staatlichen Rentenversicherung machbar gewesen. Die wahren Gewinner der diversen Rentenreformen und der Riester-Rente sind vielmehr die Arbeitgeber, deren Beitrag zur staatlichen Rentenkasse stabilisiert wurde, sowie die Versicherungsunternehmen, für die die Riester-Verträge ein gigantisches Arbeits- und Profitbeschaffungsprogramm darstellen.

Prinzipielles zur Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen
Generell ist zu fragen, wann Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen und/oder der Verkauf staatlicher Unternehmen sinnvoll oder vertretbar oder sogar geboten sind – und wann nicht.

Der schlechteste Grund für Privatisierungen ist erwiesenermaßen der Finanzbedarf von Kommunen oder Ländern oder des Bundes: Er führt häufig dazu, dass um kurzfristiger und einmaliger Einnahmen willen aus einer Position der Schwäche heraus und zum Nachteil der betroffenen Mitarbeiter oder Mieter oder Verbraucher verkauft wird. Der Käufer hat anschließend nicht selten ein regionales Monopol und nutzt das dann nach Kräften aus. Besser wäre es, die Betriebe im Besitz der öffentlichen Hand zu behalten, sie human und effizient zu führen und so dauerhaft Gewinne zu machen. Das ist durchaus möglich, wie zahlreiche Beispiele belegen. Denn ob ein Betrieb Gewinne oder Verluste erwirtschaftet, hängt außer von der Notwendigkeit und Attraktivität der angebotenen Produkte und Dienstleistungen im Wesentlichen von der Qualität des Managements und der – selbst wieder weitgehend von der Qualität des Managements abhängigen – Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter ab – und beides kann sowohl bei einem Staatsunternehmen als auch bei einem Privatunternehmen gut oder schlecht sein.

Ein weiterer oft ziemlich mieser Grund für Privatisierungen ist das Bemühen um Kostensenkungen. Das ist zwar an und für sich ein ehrenwertes Bemühen, wenn das Ziel dadurch erreicht werden soll, dass ein Betrieb effizienter arbeitet, und ein effizienteres Arbeiten zwar prinzipiell möglich, innerhalb des staatlichen Unternehmens aber nicht realisierbar ist – aus welchen Gründen auch immer. In der Praxis wird die Kostenersparnis bei bzw. nach Privatisierungen allerdings oft nicht durch ein besseres Management und effizientere Betriebsabläufe erreicht, sondern schlichtweg durch Minderbezahlung und Mehrbelastung der Arbeitnehmer, die es angesichts der Arbeitsmarktsituation nicht wagen, Widerstand zu leisten. Derartige Privatisierungen betrafen in der Vergangenheit z. B. Reinigungsdienste, Wachdienste, die Post, die Müllabfuhr oder den Busverkehr. Was aber sollen die Bürger von demokratisch gewählten Politikern halten, die Lohndumping und menschenfeindliche Arbeitsbedingungen fördern oder zwar zunächst Tarifverträge abschließen, sie anschließend jedoch durch Outsourcing, befristete Verträge o. Ä. umgehen?

Der einzige triftige Grund für Privatisierungen von Staatsunternehmen oder staatlichen Dienstleistungen ist meines Erachtens jener, dass Privatunternehmen die notwendigen Leistungen besser – was auch immer das im konkreten Fall heißen mag, z. B. zuverlässiger oder zügiger – oder bei gleicher Qualität preiswerter erbringen (können) als entsprechende Staatsbetriebe, ohne zur Erreichung dieser Ziele zu Mitteln wie Lohndumping oder krank machender Arbeitsverdichtung greifen zu müssen. Aufgaben, die ein natürliches Monopol darstellen oder sinnvollerweise zentral zu erledigen sind, sollte der Staat nicht privaten Unternehmen übertragen oder überlassen. Auf keinen Fall sollte sich ein demokratischer Staat zum Mitspieler oder gar Vorreiter bei der Dehumanisierung der Arbeitswelt machen.

1 Vgl. Sie dazu u. a.: Werner Rügemer, »Heuschrecken« im öffentlichen Raum. Public Private Partnership – Anatomie eines globalen Finanzinstruments, Bielefeld 2008; Ernst Ulrich von Weizsäcker, Oran R. Young, Matthias Finger (Hrsg,), Grenzen der Privatisierung. Wann ist des Guten zu viel? Bericht an den Club of Rome, Stuttgart 2006; Werner Rügemer, Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz, Münster 2006; Michel Reimon und Christian Felber, Schwarzbuch Privatisierung, Wien 2003

2 Vgl. Sie dazu z. B.: Claas Pieper, Und tschüs. Finanzinvestoren hatten den deutschen Immobilienmarkt erobert – mit schlimmen Folgen für viele Mieter. Jetzt ziehen einige der neuen Eigner weiter, denn die Zeit des schnellen Profits ist vorbei, in: DIE ZEIT, 23.08.2007

3 Vgl. Sie zu den Folgen einer Bahnpolitik, die auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, u. a.: Torsten Hampel: Die Entgleisung. Versagende Bremsen, brechende Räder, Unfälle mit Verletzten: Die Berliner S-Bahn ist marode, kaputtgespart für die Rendite des Mutterkonzerns Deutsche Bahn. Ein Lehrstück darüber, was passiert, wenn ein Verkehrsunternehmen für die Börse fit gemacht werden soll, in: DIE ZEIT, 15.04.2010

4 Vgl. Sie zur überaus dreisten Abzocke durch die Bahn u. a.: Marcus Stölb, Das macht dann 46000 Euro. Die Stadt Bingen in Rheinland-Pfalz wollte ein Grundstück der Bahn kaufen. Noch vor Vertragsabschluss schickte das Unternehmen eine Rechnung, in: DIE ZEIT, 20.09.2007

5 Vgl. Sie dazu z. B.: Roland Kirbach: Deutschlands gefährlichste Straße. Endlose Baustellen, viele Tote auf der A1: Seit die Regierung Autobahnen wie die zwischen Hamburg und Bremen an private Firmen verpachtet, sind sie zu Horrorpisten geworden. Heimlich haben Politiker die Geschäfte eingefädelt, in: DIE ZEIT, 15.07.2010

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Entstehungsjahr: 2007