Alternativ: Mobilversion
Homepage
Spiele wie Memory
In den Jahren seit ca. 1980 ist es unter Managern und Finanzinvestoren üblich
geworden, von Unternehmen, speziell Aktiengesellschaften, Eigenkapitalrenditen von 15,
20 oder gar 25 Prozent zu fordern, zwecks Kostensenkung angeblich überflüssige
Beschäftigte zu entlassen, die verbliebenen Beschäftigten
zu unbezahlter Mehrarbeit und Lohnverzicht zu drängen, reguläre
Beschäftigte zu entlassen und anschließend über
Zeitarbeitsfirmen oder mit befristeten Verträgen zu deutlich
schlechteren Bedingungen wieder einzustellen, reguläre Jobs in
mehrere – für das Unternehmen kostengünstigere – Minijobs
aufzuspalten, die
Privatisierung
staatlicher Betriebe und Einrichtungen zum Nutzen privater
Profiteure und zum Schaden der Kunden und Beschäftigten zu
fordern, weitere
Steuersenkungen für Unternehmen zu verlangen, die Verdoppelung
des Börsenwertes von Unternehmen innerhalb weniger Jahre zu
erwarten usw. usf.
Begründet wird all dies zum einen
mit der Globalisierung bzw. konkret mit den niedrigeren
Produktionskosten und Steuern in Entwicklungs- und
Schwellenländern sowie mit den dort im Überfluss vorhandenen und
für Niedrigstlöhne schuftenden Arbeitskräften: Deshalb müsse man
auch in Deutschland die Lohn- und Arbeitszeit- und
Arbeitsschutz- und Umweltschutz- und Sozialleistungsstandards
senken.
Zum anderen begründet man die
Forderungen mit
dem Shareholder-Value-Prinzip: Aufgabe des Managements sei es
ausschließlich, für die Aktionäre den Unternehmenswert – gemeint
ist meistens der Börsenwert – und die Eigenkapitalrendite zu
maximieren. Alle Aktivitäten eines Unternehmens – Herstellen von
Produkten und/oder Erbringen von Dienstleistungen, Befriedigung
von
Kundenbedürfnissen, Beschäftigung von Arbeitnehmern, Entwicklung
verbesserter/neuer Produkte und/oder Dienstleistungen,
gesellschaftliches und/oder soziales Engagement
– seien nur insoweit von Belang, wie sie den Börsenwert
und die Eigenkapitalrendite steigerten, und zwar möglichst
schnell.
Deshalb müsse und dürfe man auf
Kunden, Beschäftigte, Zulieferer etc. keine Rücksicht nehmen,
wenn es den Geschäften nicht schade und den Gewinn der
Aktionäre steigere, und sei geradezu moralisch verpflichtet, sie
nach Kräften auszubeuten, also z. B. von den Kunden überhöhte
Preise zu nehmen, sie bezüglich der (minderen) Qualität der Ware zu
täuschen und beim Service zu sparen, von den Beschäftigten
unbezahlte Überstunden, die Erledigung von mehr Arbeit in der
gleichen Zeit und Lohnverzicht zu fordern sowie die durch die
Arbeitsverdichtung überflüssig gewordenen Beschäftigten zu
entlassen, außerdem von den Zulieferern beste Qualität und
besten Service bei niedrigsten Preisen zu verlangen. Die
Ausgaben für Forschung und Entwicklung werden, wenn Vertreter
des Shareholder-Value-Prinzips das Unternehmen beherrschen,
dagegen häufig gekürzt, weil die Aktionäre bzw. Aktienspekulanten nicht
die langfristigen Erfolgsaussichten des Unternehmens erhöhen
wollen, sondern den derzeitigen Börsenwert, um die Aktien
möglichst bald mit größtmöglichem Profit weiterverkaufen zu
können.
Folgen der Globalisierung
für den Arbeitsmarkt in Deutschland
Klar ist, dass exportorientierte
Unternehmen so gut und günstig produzieren müssen, dass ihre
Produkte und Preise international wettbewerbsfähig sind.
Allerdings ist auffällig, dass in Deutschland nicht vorrangig die
exportorientierten,
hochwertige Produkte herstellenden
Industrieunternehmen schwächeln und Niedriglohnjobs
anbieten. Im Gegenteil: Sie sind international wettbewerbsfähig und zahlen in der
Regel anständige, zum Teil sogar sehr anständige Löhne. Die Globalisierung ist vielmehr
insofern für Arbeitslosigkeit und Niedriglohnjobs in Deutschland
verantwortlich, als die Produktion von einfachen Massenprodukten
in Deutschland nicht mehr
rentabel ist und dadurch viele wenig qualifizierte Arbeitnehmer
arbeitslos geworden sind. Durch das Überangebot an Arbeitskräften
gerieten dann die Arbeitslöhne im industriellen
Niedriglohnbereich ins Rutschen.
Sehr niedrig und zum Teil unter dem Existenzminimum liegend sind
zudem die Löhne in vielen Dienstleistungsbranchen wie
Einzelhandel, Gastronomie, Putz- und Pflegedienste, Wach- und
Kurierdienste, Friseure, Floristen, Gärtner, Kindergärtner,
Maler und Lackierer, Bauarbeiter etc.: Auch in diesen Bereichen
übersteigt das Angebot an Arbeitskräften die Nachfrage. In
Deutschland werden also das Überangebot an nicht oder wenig oder
falsch qualifizierten Arbeitskräften und die Angst vor
Arbeitslosigkeit dazu benutzt, die Löhne zu drücken und
die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Einen globalen
Wettbewerb gibt es in den Dienstleistungsbranchen schließlich gar nicht.
Abhilfe schaffen könnten z. B. ein
allgemeiner Mindestlohn, eine Qualifizierung bzw.
Weiterqualifizierung der nicht oder wenig oder falsch
Qualifizierten und/oder eine Verknappung des
Arbeitskräfteangebotes. Eine Verknappung des entsprechenden
Arbeitskräfteangebotes wäre allerdings derzeit wohl nur möglich,
wenn Arbeitslose nicht – durch Hartz IV – faktisch gezwungen
würden, jeden noch so schlechten und schlecht bezahlten Job
anzunehmen. Die andere Möglichkeit, das Arbeitskräfteangebot zu
verknappen, nämlich eine – z. B. branchenbezogene –
Verringerung der Arbeitszeit, ist bei Geringverdienern kaum
realisierbar – jedenfalls nicht ohne eine deutliche Erhöhung der
Stundenlöhne. Denn gerade Geringverdiener können es sich
natürlich kaum leisten, zugunsten von mehr Freizeit auf einen
Teil ihres Entgelts zu verzichten. Auf weitere mögliche
sinnvolle Maßnahmen zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit habe
ich bereits in früheren Texten hingewiesen, z. B. in
Wirtschaftspolitik –
Irrwege und Auswege. Überlegungen zum guten Leben.
Shareholder-Value-Prinzip: Wann
wird Gewinn verwerflich?
Die Angst um den Arbeitsplatz nutzen auch die Vertreter des Shareholder-Value-Prinzips
aus, also z. B. Finanzinvestoren,
Fondsmanager, "Heuschrecken", viele Manager von
Großunternehmen etc.: Würden nämlich genug bessere
Arbeitsplätze bei anderen Unternehmen zur Verfügung stehen oder
besäßen die Beschäftigten so viel Vermögen, dass sie auf ihren
Arbeitsplatz verzichten könnten, würden sie die ständige
Arbeitsverdichtung, wie sie in Deutschland in den letzten Jahrzehnten üblich geworden ist, sowie
den jahrelangen
Verzicht auf hinreichende Lohnerhöhungen, die die Inflationsrate
und die ständig steigenden Ausgaben z. B. für Renten-, Kranken- und
Berufsunfähigkeitsversicherung ausgleichen, wohl kaum hinnehmen, ohne zu
kündigen. Wie berechtigt sind aber nun eigentlich die
Gewinnerwartungen von Sparern oder Aktionären?
Bei Zinsen, die auf Einlagen gezahlt
werden, die durch die Einlagensicherung der Geldinstitute – und
inzwischen die zusätzliche Garantie des Staates –
hundertprozentig abgesichert sind, sollte klar sein, dass sie
nicht hoch sein können: Der Anleger trägt kein Risiko und kann
nicht erwarten, dass andere Menschen sich abrackern, damit er Zinsen
kassieren kann. Allenfalls kann er erwarten, dass das Geld, das
er zurückerhält, nicht weniger wert ist als der verliehene
Betrag. Er kann also legitimerweise mit einem
Inflationsausgleich rechnen.
Das gängige Argument, dass ihm für
aufgeschobenen Konsum darüber hinaus gerechterweise noch ein
Extrabonus zustände, ist dagegen in mehrfacher
Hinsicht fragwürdig: Erstens braucht der Sparer das Geld
offensichtlich nicht dringend für eine angemessene
Lebensführung, denn sonst würde er es – z. B. als Angehöriger
der Unterschicht und/oder Hartz-IV-Empfänger – zur Befriedigung seiner
Grundbedürfnisse ausgeben und nicht sparen. Er leistet also
keinen wirklichen Konsumverzicht, sondern hat das Geld zumindest
zeitweilig übrig. Zweitens sparen viele Angehörige
der Mittelschicht, weil sie einen größeren Betrag für eine
größere Anschaffung oder für schlechtere Zeiten mit geringerem
Einkommen ansparen möchten: Sie müssen also um des Konsums
willen Geld zurücklegen – schieben ihn folglich nicht freiwillig
auf – und würden wahrscheinlich
sogar dann sparen,
wenn sie überhaupt keine Zinsen bekämen. Warum sollte ihnen ein
Geldinstitut bei einer solchen Motivation aber Zinsen zahlen,
die über die Inflationsrate hinausgehen? Dass schließlich die Reichen der Welt keinen
Konsum aufschieben, wenn sie Geld verleihen oder
investieren, dürfte unstrittig sein.
Letztlich sollte man immer daran
denken, dass der Sparer für die Zinsen nicht selbst arbeitet,
sondern andere Menschen für sich arbeiten lässt. Warum sollte
jemand fürs schiere Nichtstun Geld bekommen – es sei denn, das
Nichtstun wäre wie bei Arbeitslosen, Kranken oder Rentnern erzwungen und er wäre
bedürftig?
Anders verhält es sich bei
Dividenden: Der Aktionär erwirbt mit der Aktie einen Anteil am
Unternehmen und geht das Risiko ein, sein Geld zu
verlieren oder zumindest keinen Gewinn zu erzielen. Es ist recht
und billig, dass er dafür dann auch, wenn das Unternehmen Gewinn
macht, daran teilhat. Allerdings darf man vom Aktionär als
Mitunternehmer erwarten, dass er wie jeder erfolgreiche
Unternehmer strategisch denkt und handelt und das langfristige
Wohl des Unternehmens und damit die Zufriedenheit der Kunden
sowie – durchaus auch im Eigeninteresse – das
finanzielle, physische und psychische Wohl der Beschäftigten und
auch der Zulieferer anstrebt. Um das Unternehmen für die Zukunft
zu wappnen, wird er außerdem zustimmen, dass der größte Teil des
Gewinns z. B. zugunsten von Forschung und Entwicklung oder des
Erhalts oder Ausbaus der Unternehmensinfrastruktur wieder investiert wird.
Wenn man alle diese für das
langfristige Überleben des Unternehmens
notwendigen Ausgaben berücksichtigt, kann ein solide
geführtes Unternehmen – zumal wenn es starke
Konkurrenten hat – in der Regel nur mäßig hohe Dividenden ausschütten. Die
durchschnittlichen Dividendenrenditen
dürften bestenfalls ein wenig über dem durchschnittlichen Zinssatz
für langfristige Einlagen liegen. Wer – wie viele internationale
Finanzinvestoren – höhere Dividenden verlangt, verringert
damit meistens die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.
Nur in Ausnahmefällen sind – ohne die Beschäftigten oder
Zulieferer auszubeuten – höhere Renditen und damit Dividenden
möglich, z. B. bei einem großen technologischen Vorsprung des
Unternehmens oder dann, wenn ein Monopol oder ein Oligopol oder
ein Kartell vorliegen. In beiden Fällen können den Kunden in der
Regel Preise abverlangt werden, die deutlich über den
Beschaffungs-, Herstellungs- und Vertriebskosten liegen.
Letzteren Fall gibt es allerdings nur dann, wenn der Markt nicht
ordnungsgemäß funktioniert, denn der Wettbewerb sollte in einer
Marktwirtschaft natürlich gerade nicht ausgeschaltet sein.
Insbesondere bei kleineren
Unternehmen kann es als Folge eines allgemeinen, vom Unternehmen
selbst in keiner Weise zu verantwortenden Kursverfalls an der
Börse z. B. nach einem Börsencrash oder auch einfach deswegen,
weil kleinere Unternehmen oftmals von Aktienkäufern kaum
beachtet werden, leicht passieren, dass die
Aktien unter Wert gehandelt werden und das
Unternehmen zur Beute von besonders aggressiven Finanzinvestoren,
so genannten "Heuschrecken" wird, die es
anschließend – z. B. mittels überhöhter Dividenden
oder Sonderdividenden oder durch Belastung mit Verbindlichkeiten
– ausplündern, eventuell
auch gewinnbringend aufspalten und Stück für Stück verkaufen,
durch Manipulation der Presse oder durch Scheinkäufe den
Aktienkurs pushen und am Ende das Unternehmen oder den Rest
desselben mit hohem Gewinn weiterverkaufen, bevor der
angerichtete Schaden offen zutage tritt.
Aber auch große Unternehmen sind vor
unheilvollen Einflussnahmen nicht gefeit: Selbst viele
DAX-Unternehmen gehören inzwischen mehrheitlich international
agierenden Finanzinvestoren – mit der Folge einer sei es
freiwilligen, sei es von den Anteilseignern erzwungenen strikten
Orientierung der Manager am Shareholder-Value-Prinzip.
Schutz
vor Dividenden- und Schnäppchenjägern
Aktiengesellschaften sind bei der
derzeitigen Rechtslage nur dann vor Leuten, die kurzfristig
Kasse machen möchten und nicht die langfristigen
Unternehmensinteressen im Blick haben, einigermaßen geschützt,
wenn die Aktienmehrheit oder zumindest ein stimmrechtlich
bedeutsames Aktienpaket bei den Mitarbeitern, bei einer Landes- oder der
Bundesregierung, bei einem institutionellen Anleger oder
mehreren institutionellen Anlegern – früher häufig Geldinstitute
und Versicherungsgesellschaften – oder bei einer
strategisch denkenden Eigentümerfamilie liegen, die ein langfristiges
Engagement im Sinn haben, an kontinuierlichen Einnahmen
interessiert sind und deshalb nicht um kurzfristiger
finanzieller Vorteile willen das mittel- und langfristige
Überleben des Unternehmens aufs Spiel setzen.
Dass es dennoch politisch – wegen
des mit der wirtschaftlichen Macht verbundenen politischen
Einflusses – und bisweilen auch wirtschaftlich – z. B. bei
unternehmerisch unbegabten oder zerstrittenen Erben – nicht
unbedingt gut ist, wenn sich die Aktienmehrheit in
Familienbesitz befindet, dass es außerdem weder sozial noch
leistungsgerecht ist, wenn reiche Erben kaum besteuert werden,
und dass es drittens durchaus Möglichkeiten gibt, Gerechtigkeit
und wirtschaftliche Vernunft miteinander zu vereinbaren, habe
ich bereits in früheren Texten dargelegt, z. B. in
Kritik des reinen
Kapitalismus, Zur
Wirtschaftslage: Was ist zu tun? und
Vorschläge für ein
besseres Steuersystem.
Nicht geschützt vor Übernahmen oder
zumindest starkem Druck durch Finanzinvestoren sind dagegen
jene Aktiengesellschaften, deren Aktien sich vollständig im
Streubesitz befinden, denn bei solchen Gesellschaften kann ein
Finanzinvestor es schon bei einem Aktienbesitz von wenigen Prozent
in der Hauptversammlung schaffen, ihm genehme Aufsichtsräte und
damit Vorstände zu
installieren und zum Schaden von Kunden, Beschäftigten etc.
sowie zum langfristigen Schaden des Unternehmens das Shareholder-Value-Prinzip
durchzusetzen.
Die Gegenmittel sind bekannt:
Vergabe von Mehrfachstimmrechten, Ausgabe von Namensaktien,
Ausgabe von
stimmrechtslosen Vorzugsaktien, Schaffung von Aktienbesitz der
Beschäftigten in nennenswertem Umfang, staatliche Beteiligungen.
Weitere Gegenmittel sind denkbar: So könnte der Gesetzgeber z.
B. bei Beschlüssen zu Sonderdividenden oder ungewöhnlich hohen
Dividenden oder zur Wahl oder Abwahl des Aufsichtsrates etc.
eine 67%-ige oder 75%-ige Mehrheit verlangen
oder sogar für wichtige Abstimmungen statt einer einfachen Mehrheit
eine Mehrheit des gesamten Gesellschaftskapitals – also nicht
nur des auf der Hauptversammlung vertretenen
Gesellschaftskapitals – fordern. Für den Fall, dass eine solche qualifizierte Mehrheit
nicht zustande kommt, könnte der Staat kommissarisch die
notwendigen Beschlüsse fassen. Außerdem könnte der Gesetzgeber
bestimmen, dass eine Aktie ihrem Besitzer – mit Ausnahme des
Erstbesitzers – nicht sofort nach dem
Erwerb ein Stimmrecht verleiht, sondern erst, wenn er sie z. B.
3 oder 5 Jahre lang gehalten hat.
Darüber hinaus könnte der Handel mit
Aktien erschwert und entschleunigt werden. Schließlich richtet
sich der Handelswert einer Aktie häufig kaum noch nach der
realen Wirtschafts- und Ertragskraft sowie Wettbewerbsfähigkeit
eines Unternehmens, sondern nach den von Analysten und
Wirtschaftspublizisten geschürten Erwartungen und Befürchtungen
von Käufern und Verkäufern, so dass Unter- und Überbewertungen
inzwischen eher die Regel als die Ausnahme sind. Banken und
Börsen sind so von Handelsplätzen zu Wettbüros geworden.
Als Gegenmittel denkbar sind z. B. eine spürbare
Transaktionssteuer auf jeden Aktienverkauf oder eine
Festsetzung des Aktienpreises nicht aufgrund von Angebot und
Nachfrage, sondern z. B. durch die Hauptversammlung mit einer
qualifizierten Mehrheit oder durch vom Staat bestellte
unabhängige Experten. Auch bei der Erstausgabe von Aktien wird
der Preis schließlich nicht vom Handel bestimmt. Zudem gibt es
eine – bei Büchern gesetzlich vorgeschriebene, ansonsten
faktische – Preisbindung auch bei vielen anderen Waren. Der festgelegte Preis müsste natürlich in
regelmäßigen Abständen überprüft und bei Bedarf angepasst
werden. Bei einer solchen Preisbindung würde der Aktienumsatz
sicherlich deutlich sinken, so dass die Börsen nur noch wenige
Stunden pro Woche geöffnet sein müssten. Allerdings lassen sich
diese Vorschläge nicht im nationalen Alleingang umsetzen.
Den überzeugendsten Beweis dafür,
dass die Börse reformbedürftig ist, hat wohl der Multimilliardär
Warren Buffett erbracht: Ein System, das es einem Menschen
erlaubt, über 60 Milliarden Dollar nur mit dem Kaufen und
Verkaufen von Aktien bei einer durchaus konservativen,
keinesfalls waghalsigen Anlagestrategie zu verdienen, ohne jemals selbst irgendein
nützliches Produkt oder eine sinnvolle Dienstleistung ersonnen
und auf den Markt gebracht zu haben, basiert offensichtlich
darauf, dass die Händler die Hersteller und die Kundigen die
Unkundigen ganz legal übervorteilen.
Sind Menschen Egoisten?
Grundsätzlich ist zu fragen, ob die
Ausbeutung des Menschen durch den Menschen wirklich
unabänderlich und Habgier der bestimmende menschliche Wesenszug
ist. Erfreulicherweise darf man die Frage verneinen. Trotz des
scheinbar gegenteiligen Verhaltens sehr vieler Investmentbanker,
vieler Manager sowie etlicher Unternehmer und Freiberufler: Die meisten Menschen sind zwar durchaus
vernünftigerweise daran interessiert, in Wohlstand zu leben,
aber sie möchten ihren Wohlstand nicht dem Elend anderer
Menschen verdanken, denn der – psychisch gesunde und liebevoll
erzogene – Mensch hat ein natürliches Gefühl für Fairness sowie die Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen und
Mitleid zu empfinden. Darüber hinaus wird asoziales Verhalten
– oder was die Mehrheit dafür hält – in allen Gesellschaften zumindest
mit Verachtung bestraft. Menschen sind daher in der Regel
durchaus geneigt, sozial zu handeln. In erster Linie gelten ihre
Hilfsbereitschaft und Fairness dabei den Mitgliedern der eigenen
Gruppe, also Familienangehörigen, Freunden, Kollegen und guten
Bekannten, aber bei entsprechenden kulturellen Normen oder guten
Argumenten übertragen
sie diese Haltung auch auf die Nation, den Kulturkreis und
schließlich die gesamte Menschheit.
Unfreiheit und Ungleichheit dagegen
bedürfen angesichts der offensichtlichen – und wissenschaftlich
erwiesenen – weitgehenden natürlichen Gleichheit der Menschen
der Rechtfertigung. Solche "Rechtfertigungen" zur Beruhigung des
eigenen Gewissens hat man freilich immer wieder gefunden. Sie
laufen im Wesentlichen auf die Behauptung naturgegebener
und/oder gottgewollter Unterschiede aufgrund von Abstammung,
Geschlecht, Herkunft, Religion oder Aussehen etc. sowie die Abwertung bestimmter
Menschen oder Menschengruppen – Frauen, Farbige,
Andersgläubige, Arbeitslose, generell nicht der eigenen Schicht oder Kultur
oder Klasse oder Rasse angehörige Fremde – als
dumm oder faul oder unfähig oder bösartig, kurzum als
minderwertig hinaus.
Wissenschaftlich betrachtet sind
solche diskriminierenden Klassifizierungen sowie alle generalisierenden
Zuschreibungen von Intelligenz, Tatkraft, Rechtschaffenheit etc.
an die Mitglieder der eigenen Gruppe unsinnig, da die
individuellen Unterschiede innerhalb der Gruppen größer sind als
eventuell vorhandene statistische Unterschiede zwischen den
Gruppen. Von der Evolution des Menschen her betrachtet sind die Unterscheidung
zwischen der eigenen Gruppe/Horde und fremden Gruppen/Horden
sowie die Akzeptanz einer Rangordnung innerhalb jeder
Gruppe/Horde aber ganz natürlich, da der Mensch die meiste Zeit der
Menschheitsgeschichte hindurch in kleinen, hierarchisch strukturierten,
miteinander konkurrierenden Gruppen gelebt hat und dieses
evolutionäre Erbe nach wie vor lebendig ist. Selbst die
untergeordnete Stellung der Frau in vormodernen Gesellschaften
hat einen evolutionären Hintergrund, nämlich ihre körperliche
Schwachheit und Schutzbedürftigkeit zumal während der
Schwangerschaft und Stillzeit.
Freilich sollten in modernen,
aufgeklärten Gesellschaften instinktive Vorurteile durch
wissenschaftliche Erkenntnisse korrigiert sowie instinktive, oft
mit körperlicher Aggressivität verbundene
Verhaltensimpulse durch Vernunft und Moral kontrolliert werden.
Auf der Basis der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen
ist eine Einkommensdifferenzierung deshalb nur nach objektiven
oder zumindest halbwegs objektivierbaren Kriterien wie
Arbeitsleistung, Anteil am Team- oder Unternehmenserfolg etc.
ethisch vertretbar. Häufig wird sich der Anteil allerdings kaum
objektiv bestimmen lassen. Das
soziokulturelle
Existenzminimum einer Einzelperson sollte jeder Vollzeitjob jedenfalls
mindestens sichern. Außerdem müssten fairerweise alle Menschen
die gleichen Chancen hinsichtlich Erziehung und Ausbildung
erhalten, um die angestrebte oder geforderte Leistung überhaupt
erbringen zu können. All das ist weltweit und auch in
Deutschland allerdings nicht gegeben.
Kultur der Anerkennung
Menschen sind also nicht reine
Egoisten, sondern durchaus bereit, auf Leistung beruhende
Einkommens- und Vermögensunterschiede zu akzeptieren und darüber
hinaus nicht nur den Besserverdienern ihren Reichtum, sondern
auch den Bedürftigen – Langzeitarbeitslosen,
Sozialhilfeempfängern, Erwerbsunfähigen – einen angemessenen
Lebensunterhalt zu gönnen sowie – falls möglich bzw. sinnvoll
– Hilfen zur Verbesserung ihrer Situation. Warum aber streben
viele Investmentbanker, Manager, Unternehmer und Freiberufler,
aber auch viele Arbeitnehmer weit über
das für ein Leben in Wohlstand und Freiheit erforderliche Maß
hinaus nach Geld und Besitz – und warum schenken oder vermachen
manche davon einen Teil ihres Vermögens anschließend nicht den
eigenen Kindern, sondern
gemeinnützigen, oft von ihnen selbst gegründeten Stiftungen?
Der Grund für dieses scheinbar
paradoxe Verhalten dürfte in beiden Fällen der gleiche sein:
Menschen vergleichen sich mit anderen Menschen und streben
danach, anerkannt und/oder bewundert und/oder geliebt und/oder
verehrt zu werden. Die meisten Individuen sind nicht so autonom
und selbstbestimmt, wie sie gerne glauben und glauben machen
möchten, sondern achten als soziale Wesen durchaus auf die
Reaktionen ihrer Mitmenschen und verhalten sich entsprechend.
Der Kreis der Mitmenschen, deren Urteil einem wichtig ist, kann
allerdings sehr differieren: Ein Manager, der nur mit anderen Managern
zu tun hat, merkt möglicherweise gar nicht, wie sehr seine
ethischen Vorstellungen von denen der weit überwiegenden
Mehrheit der Bevölkerung abweichen.
Da Menschen oder zumindest sehr
viele Menschen also naturgemäß danach streben, in der sozialen
Rangordnung oben zu stehen oder aufzusteigen und Besitz in
unserer Gesellschaft aus gutem Grund – weil er nämlich
tatsächlich die Macht und Freiheit des Besitzenden mehrt – das
gesellschaftliche Ansehen erhöht, streben sie auch danach, mehr
zu besitzen als andere – falls sie nicht leichter z.
B. mit politischer Macht, Medienpräsenz oder sportlichen,
künstlerischen oder wissenschaftlichen Erfolgen "Ruhm und Ehre"
gewinnen können. Selbst Milliardäre vergleichen ihren Besitz und
verhalten sich untereinander gemäß einer entsprechenden, zumeist
unausgesprochenen Rangordnung, obwohl es für die private
Lebensführung ziemlich egal ist, ob man 100 Millionen oder 10
Milliarden Euro oder Dollar besitzt: Beide Beträge kann man
nicht sinnvoll verkonsumieren.1
Natürlich gibt es auch noch andere
Faktoren als das Streben nach Geld, Erfolg und Anerkennung, die
Menschen zur Arbeit motivieren, z. B. – etwa bei
Künstlern und manchen Handwerkern, wobei die Frauen hier und im
Folgenden natürlich stets mitgemeint sind – die Freude an der
Tätigkeit und am Resultat an sich oder – etwa bei
Wissenschaftlern – die Freude am Forschen, Nachdenken und Finden
von Lösungen oder – etwa bei Ärzten, Pflegern,
Lehrern und
Sozialarbeitern – der Impuls zu helfen oder – etwa bei
Unternehmern – die Freude daran, eine Produktidee verwirklichen
zu können. Aber machen wir uns nichts vor: In einer
hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaft arbeiten die meisten
Menschen schlicht und einfach deshalb, weil sie Geld verdienen
müssen. Wenn sie davon gut leben können und dabei mit ihren Aufgaben, den Kolleginnen und
Kollegen sowie den Vorgesetzten gut klarkommen, haben sie Grund
zur Zufriedenheit.
Das Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung dürfte – eventuell neben Dankbarkeit
oder
schlechtem Gewissen oder steuerlichen und erbrechtlichen Erwägungen
– auch der Grund dafür sein, dass manche Unternehmer und Manager
nach oder bereits gegen Ende ihrer beruflichen Karriere einen
Teil ihres Vermögens in gemeinnützige Stiftungen einbringen. Denn nicht nur Erfolg, sondern
auch Wohltätigkeit und Freigebigkeit erhöhen in der Regel das
Sozialprestige. Der Staat sollte ein solches soziales,
kulturelles oder wissenschaftliches Engagement – auch wenn es
nicht immer ganz uneigennützig ist – unterstützen und anerkennen
und den edlen Spender ehren – und er tut das ja auch bereits
vielfach. Freilich sollte er das nur bei wirklich gemeinnützigen
Stiftungen machen: Wenn die Stiftung dagegen faktisch
hauptsächlich dazu dient, auf erbrechtlich geschickte Weise den
Nachwuchs des Stifters zu versorgen oder politisch im Geiste des
Turbokapitalismus zu agitieren oder für ein Unternehmen
Lobbyarbeit zu betreiben und Aufträge zu akquirieren, handelt es
sich um eine Mogelpackung.
Außerdem können Spenden,
Sponsoring,
Public Private Partnership u. Ä. natürlich nicht eine gute
Steuermoral ersetzen. Letztlich ist der Staat, nicht die
Wirtschaft für die
öffentliche Infrastruktur, für das Funktionieren des
Gesundheitswesens, für die öffentlichen Einrichtungen
der Daseinsvorsorge, für Schulen und Hochschulen verantwortlich,
und die Unternehmen und Bürger haben ihrerseits die Pflicht, in
angemessenem Umfang gemäß ihrer Leistungsfähigkeit Steuern zu
zahlen, damit der Staat seine Aufgaben erfüllen kann. Derzeit
erfüllen viele Unternehmen und Bürger ihre Pflicht aber nicht: Der
Staat bzw. die Bundesländer könnten z. B. auf Studiengebühren
verzichten, BAFöG unabhängig vom Einkommen der Eltern gewähren
sowie Schulen und Hochschulen bedarfsgerecht ausstatten, wenn
nicht viel zu viele Unternehmen und vermögende Bürger alles
daransetzten, auf jede erdenkliche legale und manchmal auch illegale Weise
Steuern zu vermeiden. Die Studierenden müssten bei einem
elternunabhängigen BAFöG nicht mehr studienzeitverlängernd jobben, um Studiengebühren und
Lebensunterhalt zu finanzieren, und die Schulen und Hochschulen
könnten sich auf ihre Kernaufgaben besinnen und müssten nicht
mehr viel Zeit und Energie aufwenden, um bei Unternehmen, Alumni
sowie sonstigen Freunden und Förderern betteln zu gehen.
Der Staat seinerseits müsste
überzeugend kommunizieren, wofür er das Geld braucht und dass er
es sinnvoll ausgibt, und sich gegen die staats- und verfassungsfeindliche
Hetze der Vertreter von Turbokapitalismus und Shareholder-Value-Prinzip offensiver als bisher
wehren. Denn wie die Geschichte des Kapitalismus im Allgemeinen
und die jüngste Finanzmarktkrise im Besonderen lehren, sorgt der Markt
nicht allein und automatisch für allgemeinen Wohlstand,
Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und
Glück.
1 Vgl. Sie dazu z.
B.: Heike Buchter, Interview mit Byram Karasu, »Das Problem
beginnt bei fünf Milliarden«. Byram Karasu ist der Seelendoktor
der Milliardäre. Ein Gespräch über selbstverliebte Superreiche
und den Zusammenhang zwischen Börsenkurs und Potenz, in: DIE
ZEIT, 04.09.2008
Entstehungsjahr: 2008
nach oben |