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Was wir glauben, hängt in der
Kindheit und häufig weit darüber hinaus davon ab, was unsere
Eltern und sonstigen Bezugspersonen uns an Glauben lehren und
vor allem vorleben. Entscheidend für unseren Glauben sind dabei
in der Regel weniger die religiösen Lehren im Detail, sondern
die religiösen Rituale sowie die Beobachtungen, ob und wie sich
der Glaube auf das Leben der Gläubigen auswirkt.
Konkret: Fragen nach der Dreifaltigkeit, der Gottmenschheit
Jesu, dem Sühnecharakter des Kreuzestodes Jesu oder der
Jungfräulichkeit Mariens vor, während und nach der Empfängnis Jesu sind zunächst
von geringem Interesse, während der Gefühlsgehalt von
Gottesdiensten, das Gottesbild der Eltern und anderer
Bezugspersonen sowie das verständnisvolle und hilfreiche oder
eher rücksichtslose und hartherzige Handeln der Gläubigen
und der religiösen Autoritäten gewöhnlich großen Einfluss auf die Religiosität der
Heranwachsenden haben.
In der Pubertät werden mit
wachsender Selbständigkeit und wachsendem Wissen in der Regel
auch die religiösen Überzeugungen überprüft. Sofern nicht
bereits vorher durch persönliche negative Erfahrungen mit betont
gottgläubigen Menschen Glaubenszweifel geweckt wurden, stellen
sie sich zumindest bei wissbegierigen und nachdenklichen
Menschen spätestens jetzt ein, und zwar mit zunehmender
Kenntnis der nicht immer rühmlichen Geschichte und Gegenwart der
meisten, zumal der zu weltlicher Macht gelangten
Religionsgemeinschaften, der Unverständlichkeit oder sogar
Widersprüchlichkeit ihrer Lehren, der Unvereinbarkeit ihrer
Lehren mit den Lehren anderer, mit dem gleichen
Wahrheitsanspruch auftretender Religionen und Konfessionen sowie der
Infragestellung aller dieser Wahrheitsansprüche durch die
Naturwissenschaften, die eine zwar nicht vollständige, aber doch
ziemlich erfolgreiche und überzeugende Welterklärung ohne
Gottes- und Seelenhypothese liefern.
Übrig bleiben häufig eine diffuse Sehnsucht nach Sinn, Hoffnung,
Orientierung und
Geborgenheit trotz aller offensichtlichen Zufälligkeiten des
Daseins und aller Schicksalsschläge sowie ein diffuser Glaube an
irgendeine höhere Macht.1
Als Resultat solcher Zweifel und
Überlegungen und von Erkenntnissen der
Religionskritik lässt sich Folgendes festhalten:2
- Die Existenz eines Gottes
oder mehrerer Götter sowie von Seelen oder ähnlichen
Wesenheiten, die unabhängig vom
Körper existieren können und nach dem Tod des Körpers
weiterleben oder sogar in neuen, nicht zwangsläufig
menschlichen Körpern wiedergeboren werden, ist nicht
bewiesen, weder naturwissenschaftlich noch logisch. Alle so
genannten
Gottesbeweise sind spätestens seit Kant obsolet und
unzweifelhafte Selbstoffenbarungen Gottes oder
übernatürlicher Mächte sind bislang nicht überzeugend dokumentiert.
- Der Wahrheitsanspruch der
Religionen lässt sich nicht überprüfen. Ob die
übernatürlichen Geschehnisse und Offenbarungen, auf die
sich viele Religionen berufen, tatsächlich
historische Begebenheiten sind oder lediglich von den
Religionsgründern als Phänomene der Außenwelt wahrgenommene
innere Visionen und subjektiv als evident erfahrene
Gewissheiten, ist nicht zu klären.
- Auch alle so genannten
Wunder und sonstigen für übernatürlich gehaltenen Phänomene, die im
Zusammenhang mit religiösen Überzeugungen vorkommen, sind
keine klaren Beweise für die Wahrheit einer bestimmten
Religion. Denn erstens kommen (jedenfalls bislang) unerklärliche
Ereignisse wie z. B. Spontanheilungen, Stigmatisationen,
Visionen etc. auch außerhalb religiöser Zusammenhänge vor
und zweitens können praktisch alle Religionen solche oder
vergleichbare Phänomene vorweisen, weshalb sie als
Wahrheitskriterium ausscheiden.
- Die Glaubensinhalte der
verschiedenen Religionen widersprechen einander. Sie können
folglich auch deshalb nicht alle objektiv wahr sein. Welche
Glaubensinhalte man angesichts dessen dennoch für akzeptabel
hält, sollte bei Erwachsenen – sofern sie religiöse
Bedürfnisse haben – von einer kritischen Prüfung der
Glaubenslehren unter den Aspekten der Plausibilität bzw.
Vernunftgemäßheit sowie der Auswirkungen der Lehren – und
der religiösen Praxis – auf das eigene Wohl und das Wohl der
Mitmenschen abhängen. Denn wozu taugt eine Religion, wenn
sie den Menschen nicht hilft, ihr Leben (und ihr Sterben) zu
meistern?
- Trotz aller Differenzen im
Detail geben fast alle Religionsgemeinschaften ihren
Mitgliedern Empfehlungen bzw. Anweisungen für einen guten Umgang
miteinander und mit Fremden, die sich im Wesentlichen erstaunlich ähneln.
Allerdings ist der Kreis derer, die pfleglich zu behandeln
sind, bei den verschiedenen Religionen unterschiedlich groß:
Buddhisten und Christen z. B. sollen sogar ihre Feinde
lieben, während Stammesreligionen Mitgefühl mit und
Rücksichtnahme auf Anders- oder Ungläubige weitgehend fremd
sind.
Ethische Empfehlungen / Ge-
und Verbote im Christentum
Die bekanntesten religiösen Ge-
und Verbote sind im abendländischen Kulturkreis vermutlich die
10 Gebote. Aus ihnen und den übrigen Geboten der Tora ergibt
sich als Hauptgebot bezüglich der Mitmenschen das Gebot der
Nächstenliebe. Es verpflichtet dazu, den Mitmenschen nicht nur
nicht zu schaden, sondern ihnen zu helfen und dabei auch den
eigenen Besitz einzusetzen, wie z. B. das
Gleichnis vom
barmherzigen Samariter zeigt.
Jesus geht an anderer Stelle
sogar noch weit darüber hinaus und empfiehlt das Verschenken des
gesamten Vermögens an die Armen (Mk 10,17-25). Da eine
solche Forderung dem natürlichen menschlichen Besitz- und
Sicherheitsstreben widerspricht, sind ihm hierin nur wenige
Christen gefolgt, z. B. Elisabeth von Thüringen und Franz von
Assisi. Die Institution Kirche selbst hat das Armutsgebot
spätestens nach ihrer Etablierung als römische Staatskirche weitgehend
verdrängt und verdrängt es zumindest in Deutschland noch heute. Weder empfiehlt sie den Wohlhabenden mit
Nachdruck Verzicht noch leistet sie selber solchen: Katholischen
und evangelischen Geistlichen geht es in Deutschland finanziell
gut. Ferner sind die Ausbeutung und die (erwartete)
Selbstausbeutung der Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen
nicht geringer als in staatlichen Instituten und meistens noch
nicht einmal geringer als in privaten, also vorrangig bis
ausschließlich gewinnorientierten Unternehmen. Die Einrichtungen
von Caritas und Diakonie, die Alten- und
Pflegeheime, Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten in
kirchlicher Trägerschaft werden zudem allesamt nur zum
geringsten Teil (wenn überhaupt) von den Kirchen finanziert,
sondern von den Steuerzahlern sowie von den Alten,
Pflegebedürftigen, Kranken und Eltern selbst.3 Die
Kirchensteuern dagegen werden größtenteils für die Bezahlung des
kirchlichen Personals im engeren Sinne, insbesondere der Pfarrer
und Pfarrerinnen, verwendet.
Auch bezüglich der übrigen Gebote
geht Jesus nach dem Matthäusevangelium in der
Bergpredigt weit über die im Alten Testament genannten
Forderungen hinaus:
"Als Jesus die vielen Menschen
sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger
traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie. Er sagte:
Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig,
die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie
werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden
Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie
werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden
Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit
willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. ...
Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst
nicht töten; wer aber jemand tötet, soll dem Gericht verfallen
sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur
zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder
sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen
sein; wer aber zu ihm sagt: Du (gottloser) Narr!, soll dem Feuer
der Hölle verfallen sein. Wenn du deine Opfergabe zum Altar
bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen
dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und
versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere
deine Gabe. ...
Ihr
habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe
brechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern
ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.
...
Ferner ist gesagt worden: Wer
seine Frau aus der Ehe entlässt, muss ihr eine Scheidungsurkunde
geben. Ich aber sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein
Fall von Unzucht vorliegt, liefert sie dem Ehebruch aus; und wer
eine Frau heiratet, die aus der Ehe entlassen worden ist, begeht
Ehebruch. ...
Ihr habt gehört,
dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich
aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen
Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange
schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Und wenn dich einer
vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass
ihm auch den Mantel. Und wenn dich einer zwingen will, eine
Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm. Wer dich bittet,
dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab.
Ihr
habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten
lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure
Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne
eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne
aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte
und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben,
welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die
Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit
Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Ihr sollt also
vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist."
(Mt. 5,1-48)
In der Feldrede des Lukasevangeliums (Lk 6,17-49)
finden sich ähnliche Gedanken.4
Auch wenn die Texte erst
Jahrzehnte nach dem Tod Jesu entstanden und folglich keine
genauen Wiedergaben der Worte Jesu sind, wird man ihnen doch
entnehmen dürfen, dass das Hauptanliegen Jesu eine unbedingte
Menschenliebe war, die selbst die Feinde einschließt
und sich nicht nur in Taten äußert, sondern auch die Gedanken
bestimmt.
Aus praktischen Erwägungen heraus
wurden die Gebote der Bergpredigt und die Empfehlung Jesu,
den gesamten Besitz an die Armen zu verschenken, schon bald
mit vielerlei Rechtfertigungen relativiert: Es ist eben
erfahrungsgemäß weder leicht noch sinnvoll, auch die linke Wange
hinzuhalten, wenn man auf die rechte geschlagen wird, und es ist
nicht nur eine Zumutung, seinen gesamten Besitz aufgeben zu
sollen, sondern es bringt auch den Armen nicht viel, wenn man ihnen seinen gesamten
Besitz schenkt, aber nicht dafür sorgt, dass sie auf Dauer ihr
Auskommen haben. Investitionen in Arbeitsplätze, Bildung und
Infrastruktur sind langfristig effektiver. Trotz aller
Relativierungen der Forderungen Jesu sind materielle
Anspruchslosigkeit, Gewaltlosigkeit, Großzügigkeit, Güte,
Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Nachsicht, Barmherzigkeit,
Rücksichtnahme
etc. bzw. generell eine Haltung der Nächsten- und auch
Feindesliebe aber Werte, die von den christlichen Kirchen niemals
grundsätzlich in Frage gestellt wurden – freilich häufig auch
nicht gelebt oder konsequent angestrebt wurden.5
Noch zwei Anmerkungen: Ohne Androhung
von Gericht und
Hölle kommt der Jesus der Evangelien
selbst in der Bergpredigt nicht aus. So menschlich verständlich
jedoch
Strafandrohungen für Fehlverhalten sind, so wenig vertragen sie
sich mit der Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, die
Christen Gott zuschreiben. Unendliche Strafen für endliche
Vergehen zu verhängen – und alle menschlichen Verbrechen sind
notwendigerweise endlich, wie schrecklich sie auch sein mögen –, ist weder gerecht noch gar barmherzig. Zudem ist
zu berücksichtigen, dass es mit der Willensfreiheit und also
auch mit der Schuldfähigkeit des Menschen sowieso nicht weit her ist.6
Fazit: Falls es die Hölle gibt, muss sie – entgegen der
offiziellen Lehre der Kirchen – logischerweise leer sein. Wer
ein strafloses Erlassen aller Schuld für ungerecht hält, mag ans
Fegefeuer glauben. Das
Gleichnis vom verlorenen Sohn legt freilich eine Haltung des
bedingungslosen Verzeihens nahe.
Aus dem gleichen Grund kann man
die Kreuzigung Jesu kaum noch als Sühneopfer für die Sünden der
Menschheit verstehen. Für die Urchristen war der Gedanke des
Sühneopfers zwar ganz selbstverständlich, denn blutige Opfer zur
Versöhnung eines Gottes oder einer Göttin waren fester
Bestandteil aller ihnen bekannten Religionen – auch des
Judentums. Wenn man aber ernsthaft an einen Gott glaubt, der die
Liebe selbst ist, wie kann man dann zugleich glauben, dass
dieser Gott den Kreuzestod eines Menschen oder sogar seines
eigenen Sohnes fordert – anstatt allen Schuldigen ihre Schuld
einfach ohne Gegenleistung zu erlassen?7
Zweite Anmerkung: Jesus
verschärft in der Bergpredigt die Forderungen der 10 Gebote
hinsichtlich der Verbote, zu töten und die Ehe zu brechen, insofern, als er nicht nur schädigendes Reden und Tun,
sondern bereits den Gedanken daran bzw. entsprechende Gefühle
zur Sünde erklärt. Das ist äußerst problematisch: Erstens kann
kein Mensch bestimmen, welche Gedanken und Phantasien ihm
spontan in den Sinn kommen und welche Gefühle ihn spontan
ergreifen, und zweitens hilft es nichts, diese Gedanken und
Gefühle mit Macht zu verdrängen, weil sie sich dann erst recht
aufdrängen (Rebound-Effekt). Aus psychologischer Sicht ist es
besser, negative Gedanken und Gefühle ohne moralische Bewertung
im Geiste durchzuspielen. Schließlich kann man Gedanken und
Gefühle, die einem bewusst sind, besser kontrollieren als
solche, die man unterdrückt, und aus einem Wunsch oder Gedanken – z. B.
fremdzugehen oder jemanden zu beleidigen oder umzubringen –
folgt nicht zwangsläufig die entsprechende Tat – sonst wären wir
wahrscheinlich alle längst schon zu Mördern geworden.8
Die gleiche Problematik taucht
beim 10. Gebot auf, hier allerdings bereits im Alten Testament
selbst und nicht erst bei Jesus: Das Verbot, des Nächsten Frau
und Haus etc. zu begehren, ist ein Verbot von Gefühlen, nämlich
zum einen des Neides und zum anderen der Habsucht. Gefühle kann
man sich aber nicht einfach verbieten, sondern lediglich zu
kontrollieren versuchen.
Andererseits kann man sich
natürlich bemühen, einen Geisteszustand zu erreichen, in dem man
ohne psychische Anstrengung gewohnheitsmäßig ständig auf seine
Gedanken und Gefühle achtet, sie kontrolliert und so dafür
sorgt, dass sie – bzw. andernfalls eventuell daraus
resultierende Worte und Taten – weder einem selbst noch den
Mitmenschen schaden. Allerdings hat das Christentum kaum mentale
Techniken entwickelt, die geeignet sind, einen solchen Zustand
herbeizuführen – im Gegensatz zum
Buddhismus, der eine Fülle von
Meditationstechniken bietet, um Affekte und Gedanken zu lenken und zum Zustand des
Nirwanas zu gelangen.
Ethik des Buddhismus
Obwohl die religiösen Konzepte
von Buddhismus und Christentum sich radikal unterscheiden, sind
die ethischen Ziele doch weitgehend identisch – nur beruhen sie
im Christentum auf dem Vorbild und den Empfehlungen Jesu, während sie im
Buddhismus Früchte der Selbstbefreiung von Gier und Habgier,
Zorn und Hass, Verblendung und Unwissenheit sowie der
Entwicklung von Güte und Mitgefühl nicht nur mit allen
Mitmenschen einschließlich der Feinde, sondern mit allen
fühlenden Lebewesen sind.
Es ist unmittelbar einsichtig,
dass persönliche Bedürfnislosigkeit, Mitgefühl und Güte sowie
Einsicht in die Gründe menschlichen Fehlverhaltens fast
zwangsläufig zur
Nächstenliebe und
Feindesliebe führen.
Mögliche positive Auswirkungen
des Glaubens
Als mögliche positive
Auswirkungen des Glaubens neben – bzw. zum Teil auch in
Konkretisierung – der Nächsten- und Feindesliebe sind u. a. zu nennen:9
- Akzeptieren des Todes
Es ist evident, dass der Glaube an ein ewiges, glückseliges
Leben nach dem Tod im
Reich Gottes
helfen kann, Altern, Krankheit und Tod zu akzeptieren. Die
Hoffnung auf Überwindung der eigenen Sterblichkeit dürfte
einer der Hauptgründe für das Entstehen von Religionen
gewesen sein.
Der Buddhist kennt diesen Trost zwar nicht und strebt die
Reinkarnation nicht an,
aber wenn er durch Meditation zu Selbstlosigkeit und Freiheit
von Begierden und letztlich zum Zustand des Nirwanas gelangt
ist, braucht er ebenfalls vor dem Tod keine Furcht mehr zu haben.
- Akzeptieren von Leid
Alle großen Religionen lehren ihre Gläubigen, Leid,
Misserfolge und Schicksalsschläge zu erdulden. Die
abrahamitischen Religionen bieten dazu u. a. die Geschichte von
Hiob. Letztlich läuft die Erklärung darauf hinaus, dass auch das Leid für den Menschen gut ist –
wir aber häufig nicht erkennen können, wieso und warum, und
deshalb nur gläubig Gott vertrauen können.
Für Nichtgläubige dürfte diese Erklärung freilich in vielen
Fällen unbefriedigend sein – auch wenn unbestreitbar ist, dass die Erfahrung von Leid
Menschen reifer, gelassener und gütiger machen kann. Gleichwohl: Religion
kann Gläubigen
offensichtlich helfen, Leid zu ertragen und Unabänderliches
gelassen hinzunehmen.
- Dankbarkeit gegenüber Gott
und den Mitmenschen
Alle großen Religionen lehren
ihre Gläubigen Dankbarkeit – insbesondere gegenüber Gott,
sofern die jeweilige Religion den Glauben an einen personalen Gott
beinhaltet, aber auch
gegenüber den Eltern, Lehrern und allen sonstigen Menschen,
die einem Gutes getan haben oder noch tun. Dankbarkeit tut
dabei nicht nur jenen gut, denen wir sie entgegenbringen,
sondern erwiesenermaßen auch uns selbst: Wir fühlen uns
besser/zufriedener, wenn wir dankbar sind, und dürfen zudem
darauf hoffen, dass derjenige, dem wir (aufrichtig) danken,
auch in Zukunft bereit sein wird, uns zu helfen. Zudem ist
Dankbarkeit – insbesondere in Verbindung mit materieller
Bedürfnislosigkeit und mit Freiheit von Begierden – ein wirksamer
Schutz gegen den Neid und verwandte Gefühle wie Eifersucht
und Rachsucht.
- Vergebungsbereitschaft
Alle großen Religionen ermuntern ihre Gläubigen – zumeist
unter Hinweis darauf oder sogar als Vorbedingung dafür, dass
auch Gott dem Menschen seine Schuld erlässt –, erlittenes
Unrecht zu vergeben. Unter psychologischem Aspekt kann man
Vergebungsbereitschaft freilich nicht einfach einfordern,
sondern lediglich dazu ermutigen. Schließlich hat wohl schon
jeder Mensch die Erfahrung eigener Vergebungsbedürftigkeit
gemacht. Deshalb lohnt es sich in der Regel, geduldig
abzuwarten, bis das Opfer psychisch in der Lage ist, dem Täter
zu verzeihen. Aufrichtige Reue des Täters und angemessene
Wiedergutmachungsleistungen seitens des Täters oder
ersatzweise des Staates sowie Verständnis der psychischen
Defizite des Täters können diesen Prozess möglicherweise
beschleunigen – wobei Bewährungs-, Gefängnis- und nicht dem
Opfer zufließende Geldstrafen allerdings nicht als
Wiedergutmachungsleistungen des Täters an das Opfer gelten
können, denn sie helfen dem Opfer nicht.
Die Fähigkeit zu vergeben kommt dabei nicht nur dem Täter
zugute, sofern dieser einsichtig ist und Vergebung wünscht,
sowie der Gesellschaft, insofern Vergebung und Versöhnung
friedensstiftend wirken, sondern auch dem Opfer selbst, da
seine Vergebungsbereitschaft ihm hilft, den Vorgang zu
bewältigen und nicht weiter Zeit und Energie in Wut- und
Rachegefühle zu investieren.
- Werteorientierung
Fast alle Religionen vermitteln ihren Gläubigen normative
ethische Werte, häufig sogar detaillierte Regeln, was sie zu
tun und zu lassen und wie sie ihren Tagesablauf zu gestalten
haben. Derartige Anweisungen entlasten davon, sich selbst
Gedanken darüber machen zu müssen, was richtig bzw. gut und
was falsch bzw. böse ist, und geben den Gläubigen die
Gewissheit, das Gottgefällige zu tun oder zumindest
anzustreben.10 Nichtgläubige müssen dagegen Zeit
und Kraft investieren, um für sich selbst zu klären, was sie
als gut oder böse definieren und wie sie sich in konkreten
Situationen verhalten wollen – es sei denn, sie übernehmen
einfach die Wertvorstellungen anderer als religiöser
Autoritäten, z. B. der Eltern oder Lehrer, und sparen sich
so das eigene Nachdenken. Manche Verbote wie z. B. "Du
sollst nicht töten." – jedenfalls nicht ohne triftigen Grund
und keine Mitglieder der eigenen Bezugsgruppe – sind zudem
kulturübergreifend vorgegeben.
- Zuversicht, Lebensmut,
Optimismus, Gesundheit
Etliche – vorwiegend amerikanische – Untersuchungen haben
ergeben, dass Gläubige insgesamt mit mehr Zuversicht,
Lebensmut und Optimismus in die Zukunft blicken als
Nichtgläubige. Sie werden zudem tendenziell seltener krank
und erholen sich schneller wieder von Krankheiten. Das gilt
insbesondere auch für Depressionen. Außerdem leben sie im
Durchschnitt offenbar etwas länger.
Eine der Ursachen dieser Phänomene könnte die bessere
Stressbewältigung sein: Wer Gottvertrauen hat und auf
himmlische Hilfe hofft, wird nicht so leicht den Mut
verlieren, sich überfordert fühlen oder gar verzweifeln.
Sein Immunsystem und sein Kreislauf werden weniger belastet.
Eine weitere Ursache dürfte wohl schlichtweg der gesündere
Lebensstil vieler Gottgläubiger sein: Wer nicht raucht,
nichts und nur wenig Alkoholisches trinkt, nicht unmäßig
isst, nicht ständig auf Achse ist, um nur nichts zu
verpassen, und nicht im Übermaß arbeitet, nur weil er viel
Geld verdienen will oder süchtig nach Anerkennung ist oder
sich für unersetzlich hält, sondern ein geregeltes, ruhiges
und friedvolles Leben führt, hat einfach bessere Chancen,
gesund zu bleiben und alt zu werden.
Gottvertrauen und Optimismus bergen freilich auch die Gefahr
der Sorglosigkeit und der Gleichgültigkeit gegenüber
negativen Entwicklungen wie Klimawandel,
Ressourcenverschwendung sowie Umweltverschmutzung und
-zerstörung.
Mögliche negative Auswirkungen
des Glaubens
Damit sind wir bei den
Schattenseiten des
Glaubens bzw. des Wirkens von Religionsgemeinschaften:
- Jenseits- statt
Diesseitsorientierung
Die Fokussierung auf ein ewiges Leben nach dem Tod kann dazu
führen, dass das irdische Leben abgewertet und lediglich
unter dem Aspekt der Vorbereitung aufs Jenseits quasi als
Probezeit zur Erlangung des Seelenheils wahrgenommen
wird. Als Folge investieren die Gläubigen viel Zeit und Kraft und Geld in
religiöse Projekte (Pyramiden-, Tempel- und Kirchenbau, Gebete und
Gottesdienste, Unterhalt der Geistlichkeit, Spenden an
Mönche und Nonnen, Geschenke und Stiftungen an Stifte und
Klöster, Kirchensteuer), die dann zur Bewältigung
irdischer Probleme (Armut, Krankheit, Unwissenheit,
wirtschaftliche und politische Unterdrückung etc.) nicht mehr zur Verfügung stehen.
Auch ist ein Mensch, der das Leben nur als Durchgangsstadium
betrachtet, in der Regel von vornherein nur mäßig daran
interessiert, die Verhältnisse grundlegend zum Besseren hin
zu ändern – sofern er sie nicht sowieso für gottgewollt
hält.
Allerdings haben sowohl in der evangelischen als auch in der
katholischen Kirche die Diesseitsorientierung und damit das
Engagement für ein glückliches oder zumindest erträgliches
Leben (bereits auf Erden) in den letzten Jahrzehnten
deutlich zugenommen.
- Akzeptieren von vermeidbarem
Leid
Eine ähnliche Gefahr der Inaktivität statt sinnvoller und
Erfolg versprechender Aktivitäten besteht bezüglich des
Akzeptierens von Leid als unvermeidlichem Bestandteil des
Lebens. Zwar ist es aus psychologischer Sicht gut, sich mit
Unabänderlichem abzufinden, aber die – früher seitens der
Kirchen durchaus übliche – Verklärung des Leidens als
geduldig zu ertragende Prüfung Gottes oder gar als Mitwirken
am Erlösungswerk Jesu kann dazu führen, dass auch
vermeidbares Leid (Armut, heilbare Krankheiten,
behandelbare Schmerzen, wirtschaftliche und politische Unterdrückung etc.) nicht
bekämpft, sondern als gottgewollt hingenommen wird.
Die weitgehende Untätigkeit der Kirchen bezüglich der
Bekämpfung strukturellen Unrechts z. B. dürfte – außer aus der
Tatsache, dass Geistliche, die selbst im Wohlstand leben,
naturgemäß dazu neigen, eher mit den Wohlhabenden als mit
den Habenichtsen solidarisch zu sein – auch aus der
Hochschätzung des Leidens und der Geringschätzung des
(irdischen) Glücks resultieren.
- Vorschnelles Verzeihen
Vergebung zu erlangen bzw. zu vergeben kann sowohl für den Täter
als auch für das Opfer psychisch entlastend sein. Allerdings
sollte das Vergeben nicht vorschnell erfolgen und
insbesondere nicht das Nachdenken über die Gründe der Tat
und notwendige Konsequenzen ersetzen. Das gilt insbesondere
dann, wenn es sich nicht um einen harmlosen
Dummejungenstreich handelte, sondern dem Opfer gravierende
physische und/oder psychische und/oder finanzielle Schäden
zugefügt wurden oder wenn man damit rechnen muss, dass der
Täter eventuellen guten Vorsätzen zum Trotz ohne
Erziehungsmaßnahmen bzw. ohne eine psycho- oder zumindest
verhaltenstherapeutische Behandlung erneut solche oder
schlimmere Taten begehen wird.11
Konkret: Eltern haben nicht nur ein natürliches Recht,
sondern auch eine gesellschaftliche Pflicht zur Erziehung
ihrer Kinder. Wenn sie nicht willens oder nicht fähig sind,
ihrem Kind Selbstdisziplin, gesetzeskonformes Verhalten,
Achtung gegenüber den Mitmenschen etc. beizubringen, und
wenn auch die Schule – deren vornehmste Aufgabe das Wecken
und Befriedigen von Wissensdurst ist, nicht das Ausgleichen von Erziehungsdefiziten – das Kind nicht
mehr auf den rechten Weg zurückführen kann, muss der Staat –
möglichst frühzeitig – mit Erziehungshilfen eingreifen und
notfalls den Eltern das Sorgerecht entziehen. Die bisher
übliche Praxis des Abwartens, bis es zu spät und
das Kind zum Dieb, Räuber, Schläger und eventuell
Todschläger geworden ist, ist für alle
Beteiligten die schlechteste Lösung. Faktisch macht sich der
Staat dadurch mitschuldig an den Verbrechen.12
Noch heikler, nämlich schwieriger zu erkennen und zu
beweisen und zu ahnden sind Untaten im Bereich der
Wirtschaftskriminalität (White Collar Crime). Dazu zählen
neben Straftaten wie Betrug, Insiderhandel, gezielter Desinformation,
Preisabsprachen, Steuerhinterziehung etc. meines Erachtens
auch etliche Taten, die
strafrechtlich nicht verfolgt werden, obwohl den Opfern
mutwillig und bewusst psychischer und materieller Schaden
zugefügt wird.
So begeht z. B. der Manager einer Aktiengesellschaft, der
ohne betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten wie einer
dauerhaft schlechten Auftragslage oder
Rationalisierungsdruck aufgrund starker Konkurrenz, sondern
einzig, um die Personalkosten zu senken und dadurch den
Aktienkurs und seine daran gekoppelten Bonuszahlungen in die
Höhe zu treiben, Mitarbeiter entlässt (und die
verbleibenden Mitarbeiter entsprechend stärker
belastet), meiner Meinung nach zumindest im ethischen Sinne ein
Verbrechen. Vorschnelle Vergebung ist auch hier
unangebracht, zumal vielfach noch nicht einmal ein
Unrechtsbewusstsein vorhanden ist. Vielmehr sollte ein
solches Verhalten, wenn es schon nicht strafrechtlich
erfasst werden kann, so doch wenigstens sozial durch
deutliche öffentliche Missbilligung sanktioniert werden.13
- Vermittlung falscher Werte
und Handlungsweisen
Die meisten Religionsgemeinschaften kennen grundlegende, in der Regel
für den Einzelnen und die Gemeinschaft sinnvolle Ge- und Verbote wie
" Du sollst den Sabbat/Sonntag heiligen.", "Du sollst Vater
und Mutter ehren.", "Du
sollst nicht töten.", "Du sollst nicht ehebrechen.", "Du sollst nicht stehlen.", "Du sollst kein falsches Zeugnis geben."
und "Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau oder Haus
etc." Zusätzlich stellen viele
Religionsgemeinschaften aber auch weniger sinnvolle bis
unsinnige, manchmal sogar ausgesprochen diskriminierende und
menschenfeindliche Forderungen. So sind das islamische
Kopftuchgebot für Frauen bzw. generell die gravierende
juristische Benachteiligung der Frauen im Islam oder das
katholische und orthodoxe Verbot der Priesterweihe für
Frauen eindeutig diskriminierend, die diversen Fastengebote
und die Verbote, bestimmte Nahrungsmittel zu verzehren, die
es in fast allen Religionen gibt, schlichtweg unsinnig und
das Verbot körperlicher Liebe, das Religionsgemeinschaften
wie die katholische und die orthodoxe Kirche, evangelikale
Christen und der orthodoxe Islam Schwulen und Lesben
auferlegen, höchst menschenfeindlich.14
Besonders eng, unbarmherzig sowie weitgehend unvernünftig
und unsinnig sind die Vorschriften der katholischen Kirche
im Bereich der Sexualmoral – und das ist nicht nur für
Katholiken von Bedeutung, da die katholische Kirche der
Ansicht ist, dass ihre Sittengesetze für alle Menschen auf
der ganzen Welt – also auch Nicht- und Andersgläubige –
gelten, und immer und überall bestrebt ist, sie in
staatliche Gesetze umzusetzen. Deshalb kann kein Zweifel
daran bestehen, dass es in Deutschland nicht nur keine
Eingetragenen Partnerschaften gäbe, sondern dass jeglicher Sex
zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern, außerdem
vorehelicher Sex, Sex außerhalb der Ehe, die Begünstigung
solchen Sexes (Kuppelei), ferner Ehescheidungen, schließlich
das Verschreiben, der Verkauf und das Benutzen von
Verhütungsmitteln jeglicher Art sowie
Schwangerschaftsabbrüche egal aus welchem Grund (z. B.
Vergewaltigung) gesetzlich verboten wären, wenn die
katholische Kirche der Gesetzgeber wäre.
Aus dem gleichen Grund entlässt die katholische Kirche – in Übereinstimmung
mit dem Grundgesetz, das den kirchlichen Dienst durch die
Gewährung eines kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes zur
arbeitsrechtlichen Sonder- bzw. nahezu Freizone macht – Schwule und Lesben,
sobald sie eine Eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen,
ebenso wie wiederverheiratete Geschiedene aus dem
kirchlichen Dienst in die Arbeitslosigkeit – selbst wenn die
betreffenden Personen gar nicht der katholischen Kirche
angehören und dieser Umstand dem kirchlichen Arbeitgeber bei
der Einstellung derselben bekannt war. Der Gesetzgeber sollte deshalb zumindest
verbieten, dass Einrichtungen, die ganz bewusst und sogar
aufgrund schriftlich fixierter Richtlinien Menschen
diskriminieren, staatliche Gelder erhalten. Ginge es ausschließlich nach der katholischen
Kirche, wären z. B. auch Herr Westerwelle nicht
Außenminister und Herr Wulff nicht Bundespräsident geworden,
denn der eine ist praktizierender Schwuler, der andere
wiederverheirateter Geschiedener.
Erinnert sei ferner an das gewaltsame Vorgehen der Kirchen
und ihrer Anhänger z. B. bei der Missionierung (und
Unterdrückung und Ausplünderung und Ermordung) von "Heiden"
bis ins vergangene Jahrhundert hinein, bei der Bekämpfung
von "Ketzern" oder gegenüber den Juden.15
Entsprechendes gilt für den Islam – mit dem Unterschied,
dass dort die Ausbreitung des Glaubens mit Gewalt bereits
vom Religionsgründer Mohammed selbst praktiziert wurde, während Jesus
Gewalt ablehnte.
Als
abschreckende Beispiele für Länder, in denen heute noch
religiöse Normen die Grundlage der staatlichen Gesetzgebung
bilden und deshalb Unfreiheit, Unvernunft und Staatsterror
herrschen, seien Iran und Saudi-Arabien genannt.
- Tugendterror und Höllenangst
Ob eine Religion vorwiegend positive oder überwiegend
negative Auswirkungen auf die Psyche der Gläubigen hat,
hängt – beim Glauben an einen personalen Gott – wesentlich
vom Gottesbild ab. Wer an einen gütigen, gnädigen,
wohlwollenden und hilfreichen Gott glaubt, wird voll
Zuversicht in die Zukunft blicken, sich in der Regel
bemühen, selbst gütig, gnädig, wohlwollend und hilfsbereit
zu sein, keine harten Strafen bei Fehlverhalten und Versagen
fürchten und insgesamt von seinem Glauben psychisch
und eventuell auch physisch profitieren.
Wer dagegen an einen in erster Linie "gerechten", strengen
und strafenden Gott glaubt, der von den Gläubigen die
Einhaltung detaillierter, zum Teil vernunftwidriger Ge- und
Verbote z. B. gemäß einem oft mehrere hundert Seiten
umfassenden
Katechismus verlangt und die Übertretung seiner
Vorschriften grausam ahndet, wird furchtsam und mutlos in
die Zukunft blicken, in der Regel selbst engherzig und
engstirnig, oft auch unbarmherzig und starrsinnig
werden, das Leben als Last und die Erde als Jammertal
empfinden.
Fazit
Was also können wir glauben? Was
sollen wir tun?
Angesichts der überwiegend positiven Auswirkungen des Glaubens
an einen gütigen und hilfreichen Gott auf den Gläubigen selbst,
aber indirekt auch auf seine Umgebung und die Gesellschaft
insgesamt wird man den an einen solchen Gott Glaubenden raten dürfen, ihren Glauben
zu pflegen und gemäß den Hauptgeboten ihres Glaubens (Nächsten-
und eventuell sogar Feindesliebe) zu handeln. Was die konkreten
Glaubensinhalte und ethischen Normen und Verhaltensregeln im
Detail betrifft, wird man sie dagegen zur Vorsicht, zu
konsequenter Nutzung ihres Verstandes und zur Prüfung der Normen
und Regeln im Lichte von Vernunft und Menschenliebe mahnen
müssen. Falls offizielle Lehren und Handlungsanweisungen ihrer
jeweiligen Glaubensgemeinschaft diese Prüfung nicht bestehen
sollten, sollten sie diese dann logischerweise auch nicht
glauben bzw. nicht befolgen und nach Möglichkeit auf die
Irrtümer und Unzulänglichkeiten hinweisen, wie es z. B. für
Schwule und Lesben die
HuK tut.
Auch Personen, die religiös erzogen wurden, aber inzwischen
Glaubenszweifel und geistige Distanz zur real existierenden
Kirche entwickelt haben oder denen der Glaube sogar ganz
abhanden gekommen ist, wird man nicht zwangsläufig zum
Kirchenaustritt raten müssen, wenn sie z. B. noch gerne am
kirchlichen Leben teilnehmen und sich etwa in einer konkreten
Gemeinschaft von Gläubigen gut aufgehoben fühlen. Man kann
schließlich durchaus aus anderen Gründen als tiefer Gläubigkeit einer
Religionsgemeinschaft angehören, z. B. auch deshalb, weil man wesentliche
ethische Werte mit deren Mitgliedern teilt oder weil man seine
Religionsgemeinschaft als stabilisierenden gesellschaftlichen
Faktor schätzt und trotz aller Unzulänglichkeiten unterstützen
möchte. Manche Leute gehören auch "nur" deshalb einer Kirche an,
um in einem kirchlichen Bereich oder kirchlich geprägten Umfeld
arbeiten zu können.
Wer aber zwar noch Kirchenmitglied ist, jedoch nicht (mehr)
glaubt und auch keinen sozialen, beruflichen oder politischen
Grund sieht, in der Kirche, in die er als Säugling hineingetauft
wurde, zu bleiben, sollte im eigenen finanziellen Interesse
aus der Kirche austreten, sofern er
Kirchensteuern zahlen muss.
Die Alternative: Ethik ohne
Religion
Auch wenn kirchliche Würdenträger
(Meisner,
Mixa,
Müller,
Dyba
etc.) es nicht gerne hören und bisweilen wahrheitswidrig das
Gegenteil behaupten:16 Ethisches Handeln ohne religiöses Fundament
ist nicht nur möglich, sondern dürfte der Normalfall sein.
Die
meisten Menschen stehlen, töten, lügen und betrügen nicht etwa
deshalb nicht, weil sie die 10 Gebote oder den Katechismus
kennen, sondern weil sie in ihrer Kindheit und Jugend gelernt
und verinnerlicht haben, dass man (normalerweise) nicht stiehlt,
tötet, lügt und betrügt, außerdem keine Gewalt anwendet und
niemanden beleidigt oder bedroht oder demütigt oder
einschüchtert oder erpresst oder sonstwie ohne Not physisch oder
psychisch schädigt, so wie man auch selbst nicht
bestohlen, belogen, betrogen, geschlagen oder sonstwie physisch
oder psychisch geschädigt werden möchte. Und sie
haben das in der Regel auch dann gelernt, wenn sie in
areligiösen Elternhäusern, Schulen und Staaten aufgewachsen
sind. Konkret: Die Kriminalitätsrate in überdurchschnittlich
religiösen Ländern wie den USA oder Italien ist keineswegs
niedriger als jene in so genannten entchristlichten Ländern wie
Schweden oder Norwegen oder als z. B. in Japan. Auch gibt es
genügend Beispiele für selbstloses Handeln von Agnostikern und
Atheisten sowie für sehr selbstsüchtiges Handeln von
Gottgläubigen.
Erwachsene richten sich offensichtlich im Normalfall nicht
bewusst nach Verhaltensregeln, die auf religiösen Überzeugungen
beruhen, sondern sie wiederholen und variieren je nach Situation
die in Kindheit und Jugend vielhundertfach eingeübten
Verhaltensweisen. Entscheidend für deren Akzeptanz sind die
Liebe und die sowohl klare Grenzen setzende als auch zunehmend
eigene, selbst verantwortete Entscheidungen des Kindes und
Jugendlichen fördernde Erziehungskunst der erwachsenen
Bezugspersonen, also meistens der Eltern und Lehrer.17
Gerechtigkeitsempfinden und Altruismus müssen dem Menschen
ebenfalls
nicht erst im Gottesdienst oder Religionsunterricht beigebracht
werden, sondern sind – wie allerdings ebenso der Egoismus –
grundlegende menschliche Wesenszüge, die man stärken, aber auch
schwächen kann und die ein Zusammenleben der
Menschen in Gruppen – und damit das Überleben der Menschheit –
überhaupt erst ermöglichten und nach wie vor ermöglichen. Ein
großes Problem der Menschheitsgeschichte war und ist freilich,
dass fremde Gruppen bzw. deren Mitglieder von Natur aus kein
Mitgefühl, kein Wohlwollen und keine Hilfsbereitschaft erwarten
können und häufig sogar bekämpft wurden und werden.18
Schließlich sei erwähnt, dass es im Prinzip sehr wohl denkbar
ist, ganz ohne religiöse Grundlage allein mit Vernunft und in
Kenntnis der Stärken und Schwächen des Menschen ein Gemeinwesen
zu schaffen, in dem jeder Mensch im Rahmen seiner Fähigkeiten
sowie begrenzt durch die identischen Rechte seiner Mitbürger die
Möglichkeit hat, selbstbestimmt zu leben und glücklich zu
werden. Die
Politische Philosophie kennt solche Entwürfe. In der Praxis freilich werden
die Chancen weitgehend durch Herkunft und Elternhaus
vorherbestimmt und die
persönliche Freiheit in der Regel durch wirtschaftliche Zwänge
eingeschränkt.
Häufig ist es die erfolgreiche Durchsetzung von Partikularinteressen der
wirtschaftlich Mächtigen und politisch Einflussreichen (Manager,
Unternehmer, Verwalter von Aktienfonds, Großaktionäre,
Spekulanten, Vermögensverwalter und reiche Erben, Besitzer von
Boulevardmedien, Freiberufler wie Ärzte, Apotheker, Anwälte,
Wirtschaftsprüfer und
Unternehmensberater bzw. deren Verbände)
mit Hilfe von Lobbyismus und Parteispenden, die auch in einer
Demokratie Gerechtigkeit
verhindert. Bisweilen hat man sogar den Eindruck, nur bedingt
in einer Demokratie zu leben, sondern in mancherlei Hinsicht in
einer Plutokratie mit demokratischer Fassade.
Was der Staat tun kann, um ein halbwegs gerechtes und
friedliches Miteinander zu ermöglichen, habe ich
bereits in Zufriedenheit
und Glück,
Kritik des reinen
Kapitalismus,
Brauchen wir Staatsbetriebe? sowie
passim skizziert. Einkommens- und Vermögensunterschiede wird
es freilich immer geben, solange Besitz als Statussymbol
gilt, und gewalttätige Psychopathen werden wohl
auch in Zukunft geboren werden. Aber dagegen, dass Menschen
lieblos oder falsch oder gar nicht erzogen werden, keine
Ausbildung und keine Arbeit bekommen und dann aus Frust, Gier
oder Wut sowie häufig alkoholisiert Verbrechen begehen, kann man
eine Menge machen.
1 Vgl. Sie dazu z. B. den
Beitrag von Christian Modehn
"Da muss doch noch etwas sein...“ Wenn Menschen noch an ein
„Höheres Wesen“ glauben in der Sendung "Lebenszeichen" des
WDR vom 13.05.2010.
2 Vgl. Sie zu den
Ursachen und Auswirkungen des Glaubens auch:
Woher kommen wir?
Wer sind wir? Wohin gehen wir? sowie
Homophobie und
Schwulenhass – Ursachen und Gegenmaßnahmen
3 Sogar die Bischöfe, Weihbischöfe und weitere
kirchliche Würdenträger werden in den meisten Bundesländern
nicht von der Kirche, sondern vom Staat bezahlt – als Ausgleich
für die Aufhebung der geistlichen Fürstentümer des Heiligen
Römischen Reiches Deutscher Nation zugunsten weltlicher
Fürstentümer (Reichsdeputationshauptschluss).
Die Nachkommen jener weltlichen deutschen Fürsten,
die gleichfalls 1803 oder später ihre Fürstentümer verloren,
erhalten dagegen meines Wissens weder von der Bundesrepublik
insgesamt noch von einzelnen Bundesländern Apanagen.
4 Die Evangelien sind freilich zumindest auf den
ersten Blick nicht völlig
widerspruchsfrei. Neben den Aufforderungen zur Nächsten- und
Feindesliebe findet sich auch der Satz "Meint ihr, dass ich
gekommen bin, Friede auf Erden zu bringen? Ich bin nicht
gekommen, Friede zu bringen, sondern das Schwert." (Mt. 10,34).
Allerdings geht aus dem Kontext und aus Lukas 12,51, wo es
heißt: „Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu
bringen? Nein, sage ich euch, nicht Frieden, sondern
Entzweiung.“, hervor, dass offenbar nicht gemeint ist, dass Jesu
Jünger zum Schwert greifen sollen, sondern dass sie damit
rechnen müssen, aufgrund ihres Glaubens angefeindet und
umgebracht zu werden. In den heiligen Schriften anderer Religionen finden sich
sogar zahlreiche Widersprüche, die man selbst bei engelsgleicher
Gutwilligkeit nicht weginterpretieren kann. So steht z. B. im
Koran (Sure 2, Vers 256): "In der Religion gibt es keinen
Zwang." Andererseits jedoch wird gefordert (Sure 9, Vers 3):
"Tötet die Heiden, wo immer ihr sie findet. Greift sie,
umzingelt sie und lauert ihnen überall auf."
Vgl. Sie zu den Widersprüchen z. B. den Artikel "Zurück zur
Religion?" von Hans-Willi Weis, PSYCHOLOGIE
HEUTE compact Heft 19, Weinheim 2008, sowie das Buch "Denn sie
wissen nicht, was sie glauben" von Franz Buggle, Reinbek 1992
und Aschaffenburg 2004 (überarbeitete und erweiterte
Neuauflage).
5 Vgl. Sie zu möglichen praktischen Konsequenzen für
das persönliche Handeln z. B. den Abschnitt
"Was kann ich selbst tun?" in
Wirtschaftspolitik –
Irrwege und Auswege – Überlegungen zum guten Leben.
6 Vgl. Sie zu Strafen, alternativen Maßnahmen und den
Ursachen von Gewalt z. B. Staatliches
Gewaltmonopol und Pflichten des Staates. Wie Frust,
Demütigungen, Wut, Eifersucht, Gier oder auch einfach
Alkoholgenuss im Übermaß zu Kontrollverlust und Verbrechen
führen können, zeigen anschaulich z. B. die Geschichten in den
Büchern "Verbrechen" und "Schuld" von Ferdinand von Schirach,
München 2009 bzw. München 2010.
7 Vgl. Sie dazu z. B.
den Beitrag von Matthias Morgenroth
Ist das Kreuz für uns gestorben? Fragen an die Opfertodtheologie
in der Sendung "Lebenszeichen" des WDR vom 02.04.2010.
8 Vgl. Sie dazu z. B. den Beitrag von Ute Naumann
Ich hätte ihn umbringen können ... Die Macht der bösen Gedanken
in der Sendung "Lebenszeichen" des WDR vom 01.08.2010.
9 Vgl. Sie dazu z. B. den Artikel "Glaube, Hoffnung,
Gelassenheit: Das therapeutische Wissen der Religionen" von
Nikolas Westerhoff, PSYCHOLOGIE HEUTE, 7/2010.
10 Vgl. Sie dazu z. B. die Artikel "Die Suche nach
Gewissheit" von Matthias Jung und das Gespräch "Fundamentalismus
ist das Gegenteil jedes wirklichen Glaubens" mit Werner Huth in
"Glaubenssachen. Religion. Spiritualität. Esoterik", PSYCHOLOGIE
HEUTE compact Heft 19, Weinheim 2008.
11 Vgl. Sie dazu z. B. den Artikel "Der Fluch der
Bewährung. Der 20-jährige Marco aus Berlin schlägt wahllos und
brutal zu, seit Jahren immer wieder. Warum bekommt ihn niemand
in den Griff, die Mutter nicht, die Jugendrichter nicht, die
Sozialbetreuer nicht?" von Kerstin Kohlenberg in DIE ZEIT,
08.07.2010, sowie das Buch "Das Ende der Geduld. Konsequent
gegen jugendliche Gewalttäter" von Kirsten Heisig, Freiburg im
Breisgau 2010.
12 Vgl. Sie dazu z.
B.: Staatliches
Gewaltmonopol und Pflichten des Staates
13 Vgl. Sie zur Wirtschaftsethik z. B.
Gedanken zur
Wirtschaftsethik. Wie wenig Verantwortung insbesondere
hochrangige Banker gegenüber ihren Mitmenschen und dem
Gemeinwesen empfinden, zeigt z. B. eindringlich das Buch
"Strukturierte Verantwortungslosigkeit. Berichte aus der
Bankenwelt" von Claudia Honegger, Sighard Neckel und Chantal
Magnim, Berlin 2010.
14 Vgl. Sie zur Homophobie z. B.:
Homophobie und
Schwulenhass – Ursachen und Gegenmaßnahmen
15 Vgl. Sie zu den dunklen Kapiteln der
Kirchengeschichte z. B. die sehr ergiebigen, allerdings nicht
unumstrittenen kirchenkritischen Werke von
Karlheinz Deschner.
16 Vgl. Sie dazu z. B. den – ziemlich polemischen,
aber inhaltlich korrekten – Aufsatz
Das Märchen von der Bedeutung christlicher Wertevermittlung
von Ursula Neumann in der Zeitschrift
MIZ,
Ausgabe 4/98.
17 Vgl. Sie dazu z. B. "Die Kindheit. Wie sie uns
prägt, wie sie uns fordert, wie wir mit ihr leben lernen", PSYCHOLOGIE
HEUTE compact Heft 25, Weinheim 2010.
18 Vgl. Sie zu grundlegenden menschlichen Wesenszügen
z. B.
Wesenszüge des Menschen. Außer gegen Mitglieder fremder
Gruppen können sich die Aggressionen einer Gruppe auch gegen ein
– eventuell in irgendeiner Form gehandicaptes oder sonstwie
abweichendes – Mitglied der eigenen Gruppe richten, das dann
gemobbt wird und quasi als Blitzableiter für die negativen Emotionen der
übrigen Gruppenmitglieder fungiert. Vgl. Sie dazu z. B. den
Artikel "Die Sadisten von Hilchenbach. Auf einem städtischen Bauhof
im Siegerland quälten
Arbeiter jahrelang ihren körperlich behinderten Kollegen" von Sabine Rückert in DIE ZEIT,
22.07.2010.
Entstehungsjahr: 2010
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